Entscheidungsstichwort (Thema)
Beschluss der Anordnung der Erzwingungshaft ist aufzuheben bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen eines Betroffenen nach dem Entstehen der Geldbuße. Aufhebung des Beschlusses der Anordnung der Erzwingungshaft bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen eines Betroffenen nach Entstehung der Geldbuße
Normenkette
InsO § 17 Abs. 2
Verfahrensgang
AG Husum (Entscheidung vom 20.06.2011; Aktenzeichen 200.5-363/08) |
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde des Betroffenen wird der Beschluss des Amtsgerichts Husum vom 20.06.2011 aufgehoben.
Der Antrag des Kreises N. – Der Landrat – auf Anordnung von Erzwingungshaft wird abgelehnt.
Das Finanzverwaltungsamt Schleswig-Holstein – Landeskasse – trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen des Betroffenen.
Tatbestand
I.
Mit seiner sofortigen Beschwerde wendet sich der Betroffene gegen den Beschluss des Amtsgerichts Husum vom 20.06.2011, durch den gegen ihn wegen Nichtzahlung einer Geldbuße von 300,– EUR Erzwingungshaft von 8 Tagen angeordnet worden ist.
Mit Bußgeldbescheid vom 24.11.2008, rechtskräftig geworden im Dezember 2008, war gegen den Betroffenen eine Geldbuße in Höhe von 300,00 EUR wegen Verstoßes gegen Art. 14 Abs. 1 und 2b der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 i.V.m. § 11 Abs. 2 Nr. 1 LFGB verhängt worden. Am 31.07.2009 wurde über sein Vermögen das (Regel-) Insolvenzverfahren eröffnet. Die Vollstreckungsabteilung des Kreises gab im Juli 2010 den Vollstreckungsauftrag an die Fachabteilung mit der Begründung zurück, eine Anmeldung der Forderung zur Insolvenztabelle sei erfahrungsgemäß nicht erfolgversprechend, weil die Bußgeldforderung nachrangig behandelt werde.
Im April 2011 stellte der Kreis N. Antrag auf Anordnung der Erzwingungshaft.
Entscheidungsgründe
II.
Die zulässige sofortige Beschwerde des Betroffenen ist begründet.
Der angefochtene Beschluss, mit dem gegen den Betroffenen Erzwingungshaft angeordnet worden ist, war aufzuheben, weil das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Betroffenen nach dem Entstehen der Geldbuße eröffnet worden ist.
Zwar führt nicht allein die Tatsache, dass über das Vermögen des Betroffenen ein Insolvenzverfahren wegen Zahlungsunfähigkeit eröffnet worden ist, generell zur Unzulässigkeit der Anordnung von Erzwingungshaft. Die Begriffe der Zahlungsunfähigkeit im insolvenzrechtlichen Sinn (§ 17 InsO) und ordnungswidrigkeitenrechtlichen Sinn (§ 96 Abs. 1 Nr. 2 OWiG) entsprechen einander nicht.
Gemäß § 17 Abs. 2 InsO ist der Schuldner zahlungsunfähig, wenn er nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen. Ob Zahlungsunfähigkeit im ordnungswidrigkeitenrechtlichen Sinn vorliegt, richtet sich danach, ob dem Betroffenen die fristgemäße Zahlung nach seinen wirtschaftlichen Verhältnissen nicht zuzumuten ist (§ 96 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 66 Abs. 2 Nr. 2 lit. b OWiG). Da das Gesetz in § 66 Abs. 2 Nr. 2 lit. b OWiG auf die Zumutbarkeit der Zahlung abstellt, ist der Betroffene nicht schon dann zahlungsunfähig, wenn er nicht über genügend Zahlungsmittel verfügt, um die Geldbuße fristgerecht zu begleichen. Vielmehr kann eine Zahlungsunfähigkeit erst dann bejaht werden, wenn der Betroffene den Mangel an Zahlungsmitteln auch nicht unter zumutbaren Bedingungen beseitigen kann. Der Betroffene muss ihm zumutbare Möglichkeiten, erreichbare finanzielle Möglichkeiten heranzuziehen, ausschöpfen, etwa durch Veräußerung oder Verpfändung von Gegenständen, Kreditaufnahme, Einsatz der Arbeitskraft oder Einschränkung der Lebenshaltung (vgl. LG Berlin, Beschluss vom 15.01.2007, Az.: 504 Qs 7/07, zitiert nach […]).
Es ist danach zu differenzieren, ob die Geldbuße vor oder nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden ist.
Für Geldbußen, die nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden sind, bleibt die Anordnung von Erzwingungshaft danach grundsätzlich möglich. Denn § 80 Abs. 1 InsO steht der Anordnung von Erzwingungshaft insoweit nicht entgegen, als es dem Betroffenen zumutbar ist, die Geldbuße aus den gemäß § 36 InsO unpfändbaren Gegenständen zu zahlen. Diese gehören nicht zur Insolvenzmasse i.S.d. § 35 InsO.
Insoweit ist auch die Befürchtung (vgl. LG Berlin, Beschluss vom 10.10.2005, Az.: 536 Qs 231/05, zitiert nach […]) unbegründet, Personen, über deren Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet sei, erhielten einen Freibrief für die Begehung von Ordnungswidrigkeiten.
Anders verhält es sich, wenn die Geldbuße- wie hier – vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden ist.
Gemäß § 89 Abs. 1 InsO sind Zwangsvollstreckungen für einzelne Insolvenzgläubiger während der Dauer des Insolvenzverfahrens weder in die Insolvenzmasse noch in das sonstige Vermögen des Schuldners zulässig. Unter den Begriff der „Zwangsvollstreckung” i.S.d. § 89 Abs. 1 InsO fällt nach Auffassung der Kammer auch die Erzwingungshaft.
Als Zwangsvollstreckung i.S.d. § 89 Abs. 1 InsO gilt jeder auf Befriedigung des Gläubigers hinzielende Akt, der in einem an bestimmte Voraussetzungen geknüpften Verfahren ...