Leitsatz (amtlich)
Die Teilnahme an einer Eigentümerversammlung auf der Terrasse einer Miteigentümerin, mit welcher der andere Eigentümer seit Jahren im Streit liegt, ist auch dann unzumutbar, wenn die Terrasse zwar im Gemeinschaftseigentum liegt, aber faktisch alleine von der Miteigentümerin genutzt wird.
Verfahrensgang
AG Darmstadt (Urteil vom 04.08.2022; Aktenzeichen 304 C 20/22) |
Tenor
1. Auf die Berufung der Kläger wird das Urteil des Amtsgerichts Darmstadt vom 04.08.2022, Az. 304 C 20/22, abgeändert und sämtliche auf der Eigentümerversammlung vom 12.07.2021 gefassten Beschlüsse werden für ungültig erklärt.
2. Die Kosten des Rechtsstreits in erster Instanz und des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert für die erste Instanz wird auf bis 13.000,00 EUR, für die Berufungsinstanz auf bis 6.000,00 EUR festgesetzt.
Tatbestand
I.
Mit ihrer gegen die beklagte WEG gerichteten Anfechtungsklage begehren die Kläger als Mitglieder der WEG die Ungültigerklärung sämtlicher auf der Eigentümerversammlung vom 12.07.2021 gefassten Beschlüsse. Die Gemeinschaft besteht außer den Klägern nur noch aus einer weiteren Eigentümerin.
Das Amtsgericht hat allein die Beschlüsse zu den Tagesordnungspunkten (TOP) 4 und 9 insgesamt sowie den Beschluss zu TOP 5 teilweise „aufgehoben” und die Klage im Übrigen abgewiesen. Wegen der Begründung der Entscheidung sowie der tatsächlichen Feststellungen wird auf die angefochtene Entscheidung Bezug genommen. Zu ergänzen ist, dass der Verwalter als Ort der Versammlung eine Terrasse bestimmte, die zwar auf Gemeinschaftseigentum liegt, aber faktisch von der einzig weiteren Eigentümerin allein genutzt wird, und die Kläger und die einzig weitere Eigentümerin seit Jahren zerstritten sind und in der WEG mehrere Rechtsstreitigkeiten geführt wurden und werden.
Mit der Berufung verfolgen die Kläger ihr ursprüngliches Begehren auf Ungültigerklärung sämtlicher Beschlüsse weiter. Über spezifische Rügen betreffend die einzelnen Beschlüsse hinaus sind die Kläger der Ansicht, sämtliche Beschlüsse seien schon deshalb für ungültig zu erklären, weil zu der Versammlung, an der sie selbst nicht teilnahmen, ein Verwalter eingeladen habe, der zum Zeitpunkt der Einladung nicht mehr im Amt gewesen sei. Ferner gewähre der Ort der Versammlung nicht die Einhaltung des Grundsatzes der Nichtöffentlichkeit, weil Nachbarn hätten lauschen können. Aber auch schon wegen der Streitigkeiten mit der weiteren Eigentümerin sei es ihnen, den Klägern, nicht zuzumuten, sich auf der Terrasse der weiteren Eigentümerin einzufinden.
Die Beklagte verteidigt das angegriffene Urteil und beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Berufung hat Erfolg. Zwar erfolgte die Einladung entgegen der Ansicht der Kläger nicht durch einen Nichtberechtigten; es lud zu der Versammlung der noch amtierende Verwalter ein (1.). Allerdings war der Versammlungsort für die Kläger unzumutbar, was hier zur Ungültigerklärung sämtlicher Beschlüsse führt (2.).
1.
Zum Zeitpunkt der Einladung vom 14.06.2021 zur Versammlung am 12.07.2021 war der Verwalter im Amt, weshalb auch ihm gemäß § 24 Abs. 1 WEG die Einberufung oblag.
Der Verwalter war hier zunächst bis zum 31.10.2020 bestellt worden.
Vorzeitig abberufen wurde er nicht. Seine Amtszeit verlängerte sich über den 31.10.2020 hinaus gemäß § 6 Abs. 1 COVMG; die gesetzlich angeordnete Verlängerung hindernde Beschlüsse fassten die Wohnungseigentümer nicht. Im Einzelnen:
Nach dem am 28.03.2020 in Kraft getretenen und nach Verlängerung über den 31.12.2021 hinaus bis 31.08.2022 gültigen § 6 Abs. 1 COVMG galt: „Der zuletzt bestellte Verwalter im Sinne des Wohnungseigentumsgesetzes bleibt bis zu seiner Abberufung oder bis zur Bestellung eines neuen Verwalters im Amt.” In Anwendung dieser Ausnahmevorschrift blieb der Verwalter hier auch nach dem Ende seiner Bestellungszeit am 31.10.2020 weiter im Amt. Abberufen wurde er danach nicht; ein neuer Verwalter wurde nicht bestellt.
Auch die beiden noch vor dem Ende des Bestellungszeitraums bis zum 31.10.2020 abgehaltenen Versammlungen stehen der gesetzlich angeordneten Verlängerung nach § 6 Abs. 1 COVMG nicht entgegen.
Dabei kann die diskussionswürdige Frage, ob eine nach § 6 Abs. 1 COVMG verlängerte Amtszeit bereits mit Ablauf einer zwischenzeitlich erfolgten Wohnungseigentümerversammlung endet, auch wenn der Verwalter dort nicht abberufen bzw. ein neuer bestellt wird, dahinstehen (dagegen MüKoBGB/Scheller, 8. Aufl. 2021, COVMG § 6 Rn. 3). Denn die Versammlungen vom 22.06.2020 und 10.08.2020 fielen noch in die Zeit vor den Ablauf seiner regulären Bestellungszeit am 31.10.2020.
In jenen Versammlungen haben die Wohnungseigentümer auch keine Regelung getroffen, welcher der nachfolgenden Verlängerung nach § 6 Abs. 1 COVMG entgegenstünden.
Dabei kann die Frage dahinstehen, ob die Wohnungseigentümer vorgreiflich eine Nichtanwendung von § 6 Abs. 1 COVMG hätten beschließen können, etwa indem si...