Leitsatz (amtlich)
1. Es besteht eine Beschlusskompetenz, über eine Änderung des Verteilerschlüssels für Rücklagen zu beschließen, bzw. einen von dem vereinbarten Kostenschlüssel abweichenden Schlüssel für die Rücklagenbefüllung durch Beschluss zu bestimmen.
2. Ein Beschluss über die Änderung des Befüllungsschlüssels ist aber nicht ordnungsgemäß, wenn es hierdurch dazu kommt, dass eine einheitliche Rücklage nach verschiedenen Schlüsseln befüllt wird.
Verfahrensgang
AG Darmstadt (Urteil vom 24.11.2022; Aktenzeichen 304 C 26/22) |
Tenor
1. Auf die Berufung der Klägerin und Berufungsklägerin wird das am 24.11.2022 verkündete Urteil des Amtsgerichts Darmstadt (304 C 26/22) abgeändert.
Der Beschluss der Wohnungseigentümerversammlung vom 16.12.2021 zu TOP 2 wird in Bezug auf die Änderung der Erhaltungsrücklage für ungültig erklärt.
2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
5. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf bis zu 5.000 EUR festgesetzt.
Tatbestand
I.
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit eines Beschlusses mit dem – soweit für die Berufung noch von Interesse – der Kostentragungsschlüssel für die Zuführung zur Erhaltungsrücklage geändert wurde. In der Teilungserklärung ist vorgesehen, dass die Wohnungseigentümer zur Ansammlung einer Instandhaltungsrücklage verpflichtet sind. Diese soll im Verhältnis WE 7 zu 46 %, WE 8 zu 31% und WE 9 zu 23 % aufgebracht werden. Im Anschluss ist aufgeführt, dass die Eigentümer zur Deckung der Bewirtschaftungskosten, die dort als Betriebskosten, Instandhaltungs- und Instandsetzungskosten einschließlich Instandhaltungsrücklage definiert werden, verpflichtet sind. Sodann ist für die Verteilung der insoweit anfallenden Kosten der oben genannte Schlüssel vereinbart.
Auf der Wohnungseigentümerversammlung vom 16. Dezember 2021 beschlossen die Eigentümer unter Top 2: „Die Kosten der Instandhaltungsrückstellungen, der Bewirtschaftungskosten (Instandhaltungskosten, Wartungskosten, allgemein Stromkosten, Versicherungsbeiträge) sind künftig auf die Mitglieder des Mehrfamilienhauses im Verhältnis der Teilungserklärung vom 8. September 2019 errechneten Miteigentumsanteile umzulegen”, es folgt eine Aufstellung der MEA-Anteile.
Mit der Klage begehrten die Klägerin die Feststellung der Nichtigkeit, hilfsweise der Erklärung der Unwirksamkeit des Beschlusses bezüglich der Änderung des Verteilungsschlüssels für die Instandhaltungsrückstellungen.
Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen, da die Beschlusskompetenz aus § 16 Abs. 2 S. 2 WEG folge; die Norm erfasse auch die Ansammlung der Instandhaltungsrücklage. Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin.
Entscheidungsgründe
II.
Die Berufung hat Erfolg. Da nach neuerer Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes auch nach der Reform des Wohnungseigentumsgesetzes Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage weiter denselben Streitgegenstand haben (BGH NZM 2023, 288), kann dahinstehen, ob der Beschluss nichtig ist oder lediglich anfechtbar ist, da der Beschluss fristgerecht angefochten wurde.
Allerdings teilt die Kammer die Auffassung des Amtsgerichts, dass die Wohnungseigentümer eine Beschlusskompetenz haben, zu beschließen, dass der Schlüssel, nach welchem die Erhaltungsrücklage aufgefüllt wird, geändert wird.
Diese Frage ist allerdings umstritten.
Zum Teil wird vertreten, dass die Eigentümer nur die Kompetenz haben, nach § 16 Abs. 2 S. 2 WEG den Verteilerschlüssel bei der Erhebung einer Sonderumlage, die einer konkreten Erhaltungsmaßnahme dient, zu ändern. Für die Änderung des Schlüssels zur Befüllung der Erhaltungsrücklage bedürfe es hingegen einer Vereinbarung (BeckOK WEG/Elzer, 3.4.2023, § 19 Rn. 149; BeckOGK/Skauradszun, 1.6.2023, WEG § 19 Rn. 84). Ebenso hatte dies der Bundesgerichtshof für das alte Recht entschieden, wonach § 16 Abs. 4 WEG aF einer Änderung des Befüllungsschlüssels entgegenstehe, da es sich insoweit nicht um einen Einzelfall handele (BGH NJW 2010, 2654 Rn. 15).
Andererseits wird eine Änderung des Schlüssels nach § 16 Abs. 2 S. 2 WEG nF für möglich gehalten (Bärmann/Dötsch, 15. Aufl. 2023, WEG § 19 Rn. 223; Jennißen/Sommer/Heinemann § 19 Rn. 152).
Nach Auffassung der Kammer besteht im neuen Recht eine Beschlusskompetenz der Eigentümer, über eine Änderung des Verteilerschlüssels für Rücklagen zu beschließen, bzw. einen von dem vereinbarten Kostenschlüssel abweichenden Schlüssel für die Rücklagenbefüllung durch Beschluss zu bestimmen. § 19 Abs. 2 Nr. 4 WEG verpflichtet die Gemeinschaft nur, eine angemessene Erhaltungsrücklage anzusammeln, bestimmt den Schlüssel, nach welchem die Rücklage aufzufüllen ist, allerdings nicht. Insoweit ist zunächst in den Blick zu nehmen, dass auch die allgemein für den Verteilerschlüssel herangezogene Regelung des § 16 Abs. 2 S. 1 WEG an sich nur für die Kosten der Gemeinschaft gilt. Bei der Befüllung eine Rücklage handelt es sich allerdings nicht um Kosten der Gemeinschaft, weshalb diese in der Jahresabrechnung auch nicht a...