Entscheidungsstichwort (Thema)
Schadensersatz- und Schmerzensgeld bei schwersten Körperverletzungen: Wichtige Gründe für die Kapitalisierung von Rentenansprüchen. Ersatzfähigkeit von Pflege- und Therapiekosten bei dauernder Pflegebedürftigkeit sowie des Haushaltsführungs- und Verdienstausfallschadens. Schmerzensgeld bei verkehrsunfallbedingter Schwerstbehinderung und Anwendung des Kürzungsverfahrens bei Überschreitung der Versicherungssumme durch den Kapitalwert der Rente
Orientierungssatz
1. Im Rahmen eines Schadensersatzanspruchs aus § 843 BGB können auch einzelne Schadenspositionen kapitalisiert (bei Vorliegen eines wichtigen Grundes) oder verrentet werden. Ebenso ist es sowohl zulässig, einzelne Schadenspositionen aus den vermehrten Bedürfnissen zu kapitalisieren, und andere als Rente zu gewähren, als auch eine Kombination aus Rente und Kapitalabfindung für verschiedene Zeitabschnitte zu zahlen. Nicht zulässig ist eine Gesamtkapitalisierung schon dann, wenn nur für einzelne Schadensposten ein Kapitalisierungsbedürfnis vorliegt.
2. Wichtige Gründe für eine Kapitalisierung von Rentenansprüchen i.S.d. § 843 Abs. 3 BGB können sich sowohl aus der Sphäre des Schädigers bzw. des Ersatzpflichtigen als auch aus der Sphäre des Geschädigten ergeben. Dabei können im Hinblick auf den Ausnahmecharakter der Kapitalabfindung nur Gründe von erheblichem Gewicht in Betracht kommen; erforderlich sind insoweit besondere Gegebenheiten, die objektiv oder in der Person des Geschädigten die Rentenzahlung als erheblich ungeeignet oder unsicher erscheinen lassen. Gleichzeitig bedeutet dies, dass die Erforderlichkeit einer Kapitalabfindung nicht zur unüberprüfbaren Disposition des Geschädigten steht. Der unbestimmte Rechtsbegriff des wichtigen Grundes ist vielmehr durch die Gerichte voll überprüfbar.
3. Wichtige Gründe für die Kapitalisierung einer Schadensersatzrente in der Sphäre des Verletzten können darin liegen, dass eine Kapitalabfindung und die damit verbundene endgültige Beendigung der Regulierung einen günstigen, bzw. eine Rente einen ungünstigen Einfluss auf seinen Gesundheitszustand bzw. seine psychische Befindlichkeit haben würde, oder dass die Kapitalabfindung dem Verletzten dazu dienen kann, sich selbstständig zu machen. Auch können besondere, sich aus der Schwere der Verletzungen ergebende Umstände einen Bedarf für eine einmalige Kapitalzahlung auslösen, oder kann eine Kapitalisierung aus dem Gesichtspunkt der Vermeidung weiterer Auseinandersetzungen mit dem Ersatzpflichtigen (oder der Versicherungsgesellschaft) erforderlich sein, wenn dieser eine unzumutbare Verweigerungshaltung eingenommen hat.
4. Der Verletzte kann zur Behandlung seines Gesundheitsschadens den gesamten Aufwand ersetzt verlangen, der dazu dient, das verletzungsbedingte Leiden zu behandeln oder zu lindern. Zu ersetzen sind auch Mittel, deren generelle Wirksamkeit nicht nachgewiesen ist, wenn sie nicht ohne jede Erfolgsaussicht sind. Die Maßnahmen müssen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einer Heilung oder Linderung führen können, wobei bei einer Behinderung der Gesichtspunkt der Linderung im Vordergrund steht. Es reicht dazu aus, dass der Zustand des Geschädigten vor einer weiteren Verschlechterung bewahrt wird.
5. Zum Ersatz der Kosten von Pflegeleistungen bei einer verkehrsunfallbedingt schwerstbehinderten jungen Frau mit 18-stündigem Pflegebedarf, zum Ersatz des Haushaltsführungsschadens in einem Zwei- bzw. Einpersonenhaushalt sowie zum Ersatz des Verdienstausfallschadens und zur Ermittlung des fiktiven Verdienstes der Verletzten, wenn diese zum Zeitpunkt des Unfalls 19 Jahre alt war, einen durchschnittlichen Realschulabschluss erworben und acht Monate später ein Kind bekommen hatte.
6. Bei Unfallverletzungen einer jungen Frau infolge eines von ihrem Ehemann fahrlässig verursachten Verkehrsunfalls, die schwerste Behinderungen, psychische Folgeleiden und dauerhafte Pflegebedürftigkeit und damit den als vollständig zu bewertenden Verlust zuvor gelebter Lebensqualität herbeigeführt haben, ist ein Schmerzensgeld in Höhe von 430.000 Euro gerechtfertigt, wobei das Regulierungsverhalten des Schädigers bzw. seines Haftpflichtversicherers zu berücksichtigen war.
7. In Fällen, in denen die geschuldete Versicherungsleistung (hier: des Kfz-Haftpflichtversicheres) in der Erfüllung von Rentenverpflichtungen besteht, kommt es für die Frage, ob die vereinbarte Versicherungssumme überschritten wird, auf den Kapitalwert der Rente an, § 155 VVG. Dabei ist ein Zinsfuß zugrundezulegen, der der Effektivverzinsung entspricht, die auf dem Kapitalmarkt für Rentenwerte von vergleichbarer Laufzeit erzielt wird. Soweit die Dauer der Rentenverpflichtung nicht von vornherein feststeht, ist sie aufgrund einer im Zeitpunkt ihres Beginns aufzustellenden Prognose unter Berücksichtigung des konkreten Falls und unter Beachtung der sich aus anerkannten statistischen Unterlagen ergebenden Durchschnittswerte zu bemessen. Übersteigt der Kapitalwert der Rente die Versicherungssumme, so h...