Leitsatz (amtlich)
Zur Beiordnung eines Pflichtverteidigers in Verfahren mit mehreren Beschuldigten aus Gründen der Waffengleichheit.
Verfahrensgang
AG Pinneberg (Entscheidung vom 27.12.2011; Aktenzeichen 31 Da 60/11) |
Tenor
Auf die Beschwerde des Angeklagten X. wird der Beschluss des Amtsgerichts Pinneberg vom 27.12.2011 (Az.: 31 Ds 60111) aufgehoben.
Dem Angeklagten X. wird Rechtsanwalt Mehdi Shafai, Herbert- Weichmann-Straße 50; 22085 Hamburg, als notwendiger Verteidiger gemäß § 140 Abs. 2 StPO beigeordnet.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen des Angeklagten trägt die Landeskasse
Gründe
Mit Anklageschrift der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Itzehoe vom 14.06,2011 wird dem Beschwerdeführer sowie dem Mitangeklagten Y. zur Last gelegt, zwischen dem 17.03.2011, 19:00 Uhr und dem 18.03.2411, 07:30 Uhr gemeinschaftlich handelnd einen besonders schweren Fall des Diebstahls in Tateinheit mit einer Sachbeschädigung begangen zu haben, Die Angeklagten sollen u.a. kupferne Regenfallrohre von einem Gebäude demontiert und zum späteren Verkauf entwendet haben. Der Angeklagte X. hatte gegenüber der Polizei angegeben, dass sie die fraglichen Gegenstände auf dem Sperrmüll gefunden hätten. Darüber hinaus haben sich die Angeklagten zur Sache bisher nicht eingelassen.
Durch Schriftsatz vom 04.04.2011 zeigte Rechtsanwalt G. gegenüber der Polizei Quickborn unter Überreichung einer entsprechenden Vollmacht die anwaltliche Vertretung des Angeklagten Y. an. Rechtsanwalt Mehdi Shafai bestellte sich unter Vorlage einer Vollmacht mit Schriftsatz vom 09.12.2011 zum Verteidiger des Beschwerdeführers und beantragte zugleich seine Beiordnung als Pflichtverteidiger. Nach erfolgter Beiordnung soll laut Schriftsatz Akteneinsicht beantragt werden.
Der Antrag auf Beiordnung wurde im Wesentlichen damit begründet, beide Angeklagte seien wegen derselben Tat angeklagt und würden sich bislang zu den Vorwürfen nicht äußern. Da der Mitangeklagte Y. verteidigt werde, seien die Voraussetzungen einer Pflichtverteidigerbestellung aus Gründen .der gebotenen "Waffengleichheit" gegeben . Der Antrag wurde durch Beschluss des Amtsgerichts Pinneberg vom 27.12,2011 abgelehnt, Gegen diesen Beschluss legte der Angeklagte X. durch anwaltlichen Schriftsatz Vom 03.01.2012 Beschwerde ein, Das Amtsgericht half der Beschwerde nicht ab.
II.
Die zulässige Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg.
Die Voraussetzungen für eine notwendige Verteidigung gemäß § 1.40 Abs. 2 StPO liegen vor. Danach ist in anderen als den in § 140 Abs. 1 StPO genannten Fällen ein Pflichtverteidiger zu bestellen, wenn wegen der Schwere der Tat oder wegen der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheint oder wenn ersichtlich ist, dass sieh der Beschuldigte nicht selbst verteidigen kann.
Vorliegend sind zwar die Voraussetzungen des § 140 Abs. 1 StPO nicht gegeben. Auch lässt weder die Schwere der Tat noch die Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage die Mitwirkung eines Verteidigers als geboten erscheinen. Der Beschwerdeführer ist jedoch in seiner Verteidigungsfähigkeit in einem Maße eingeschränkt, das die Bestellung eines Pflichtverteidigers nach § 140 Abs. 2 StPO gebietet.
Eine derartige Einschränkung der Verteidigungsfähigkeit im Sinne des § 140 Abs. 2 StPO kann unter anderem vorliegen, wenn das Gebot der* "Waffengleichheit" im Verhältnis mehrerer Angeklagter verletzt ist. Ob dies der Fall ist, bestimmt sich anhand einer umfassenden Würdigung der Gesamtumstände im jeweiligen Einzelfall, Dabei begründet der Umstand, dass ein Angeklagter durch einen Verteidiger vertreten wird, ein anderer hingegen nicht, für sich allein noch nicht eine notwendige Verteidigung Es müssen vielmehr weitere Umstände hinzutreten, die im konkreten Fall eine Beiordnung als geboten erscheinen lassen.
Diese Voraussetzungen sind vorliegend gegeben. Dabei ist zunächst zu berücksichtigen, dass die beiden Angeklagten Wegen derselben Tat angeklagt sind und sich bisher dem Gericht gegenüber nicht zur Tat geäußert haben. Insofern wird es in der Hauptverhandlung auch um die Frage der jeweiligen Tatbeteiligung beider Angeklagter gehen. Vor diesem Hintergrund besteht die Möglichkeit, dass sich die Angeklagten gegenseitig für die Tatbegehung verantwortlich machen. Ist in einem solchen Fall widerstreitender Interessen ein Angeklagter nicht verteidigt, ist dieser gegenüber dem verteidigten Angeklagten im Nachteil (LG Kiel, Beschluss vorn 10.10.2008 - 32 Qs 146/08; Kammer, Beschluss vom 8.02.2011 jug 1 Qs 5/11)'.
Dabei ist weiter zu berücksichtigen, dass der verteidigte Mitangeklagte sich über seinen Verteidiger jederzeit Akteneinsicht verschaffen kann. Er erhielte so Informationen, nach denen er seine Verfahrensvorbereitung ausrichten könnte. Diese Möglichkeit stünde dem unverteidigten Beschwerdeführer nicht ohne weiteres zur Verfügung (LG Magdeburg, Beschluss vom 29.09.2010 - 21 Qs 805 Js 70914/10; LG Kiel, Beschluss vom 10.10.2008 - 32 Qs 146/08; vgl. auch...