Orientierungssatz
Die gesetzliche Regelung des Art. 12 § 10 Abs. 2 S. 1 NEhelG steht dem gesetzlichen Erbrecht nichtehelicher Kinder, die vor dem 01.07.1949 geboren wurden, nach ihrem Vater auch noch nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 28.05.2009 in der Beschwerdesache Brauer ./. Deutschland - Beschwerde-Nr.: 3545/04; veröffentlicht in FamRZ 2009, 1293 - entgegen.
Tenor
1.
Die Beschwerde der Beteiligten Ziffer 1 gegen den Beschluss des Notariats 2 - Nachlassgericht - Karlsruhe-Durlach vom 24.09.2004 - 2 GRN 123/2002 - wird zurückgewiesen.
2.
Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren wird auf ... festgesetzt.
Gründe
I.
Der Erblasser war deutscher Staatsangehöriger und verstarb ledigen Standes am 23.01.2002 in Karlsruhe. Er war Vater des am 25.06.1948 in Karlsruhe geborenen und am 18.07.2002 in ... verstorbenen .... Die Beteiligte Ziffer 1 war die Ehefrau des Sohnes und ist dessen Alleinerbin. Sonstige Verwandte des Erblassers konnten nicht ermittelt werden. Der Erblasser hinterließ ein Vermögen in Höhe von ca. ... EUR, jedoch keine Verfügung von Todes wegen.
Nach Durchführung eines öffentlichen Erbenaufrufs stellte das Nachlassgericht mit Beschluss vom 13.05.2004 fest, dass ein anderer Erbe als der Landesfiskus nicht in Betracht komme, da gesetzliche Erben nicht ermittelt werden könnten.
Mit Schreiben vom 26.08.2004 beantragte die Beteiligte Ziffer 1 die Erteilung eines Erbscheins, der den vorverstorbenen Sohn des Erblassers als Alleinerben ausweist. Sie begründete ihren Antrag damit, dass Artikel 12 § 10 Abs. 2 Satz 1 NEhelG vom 19.08.1969, der dem gesetzlichen Erbrecht des nicht ehelichen Sohnes entgegenstehe, die Grundrechte des Sohnes aus Artikel 6 Abs. 5 GG i.V.m. Artikel 14 GG verletze und daher verfassungswidrig sei. Der Sohn sei daher als gesetzlicher Alleinerbe des Erblassers anzusehen.
Mit Beschluss vom 24.09.2004 wies das Nachlassgericht den Antrag der Beteiligten Ziffer 1 zurück. Zur Begründung führte es aus, dass dem Erbrecht des Sohnes die Regelung des Artikel 12 § 10 Abs. 2 NEhelG entgegenstünde, die gültiges Recht und im Hinblick auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 20.11.2003 - 1 BvR 2257/03 - als verfassungskonform anzusehen sei.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Beteiligten Ziffer 1 vom 20.10.2004, der das Nachlassgericht nicht abhalf und die Akten mit Verfügung vom 02.05.2005 der Kammer zur Entscheidung vorlegte.
Mit Schriftsatz vom 22.08.2007 begründete die Beteiligte Ziffer 1 ihre Beschwerde damit, dass Artikel 12 § 10 Abs. 2 NEhelG den Änderungen der gesellschaftlichen und rechtlichen Verhältnisse in Bezug auf nichteheliche Kinder nicht mehr gerecht werde. Die Ungleichbehandlung des Sohnes des Erblassers mit nichtehelichen Kindern, deren Väter vor dem 03.10.1990 ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der ehemaligen DDR hatten und damit gemäß Artikel 235 § 1 Abs. 2 EGBGB zu den gesetzlichen Erben ihres Vaters zählen, sei nicht zu rechtfertigen. Vertrauensschutzaspekte würden im vorliegenden Fall nicht gegen ein Erbrecht des Sohnes sprechen, da keine weiteren Erben als der Landesfiskus vorhanden seien. Schließlich verstoße die Vorschrift des Artikel 12 § 10 Abs. 2 NEhelG gegen Artikel 8 EMRK und verletze damit ein Menschenrecht des bereits verstorbenen Sohnes des Erblassers.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte stellte im Rahmen seiner Entscheidung vom 28.05.2009 in der Beschwerdesache Brauer ./. Deutschland - Beschwerde-Nr.: 3545/04; veröffentlicht in FamRZ 2009, 1293 - in einem Fall fest, dass die deutsche Regelung des Artikels 12 § 10 Abs. 2 Satz 1 NEhelG gegen das Diskriminierungsverbot des Artikels 12 i.V.m. Artikel 8 EMRK verletze. Danach rechtfertigten Vertrauensschutzgesichtspunkte keine Schlechterstellung der vor dem 01.07.1949 geborenen nichtehelichen Kinder, deren Väter nicht im Gebiet der früheren DDR ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatten, gegenüber anderen nichtehelichen Kindern.
Hierauf trat der Beteiligte Ziffer 2 im Rahmen seiner schriftlichen Stellungnahme vom 27.11.2009 der Beschwerde der Beteiligten Ziffer 1 entgegen, wobei er ausführte, dass trotz der Entscheidung des EuGHMR die Regelung des Artikel 12 § 10 Abs. 1 NEhelG nach wie vor maßgeblich sei, da die europäische Menschenrechtskonvention lediglich im Range eines Bundesgesetzes stehe und der fraglichen Bestimmung daher nicht vorgehe. Im übrigen bestünde keine Bindung deutscher Gerichte an die Entscheidung des Gerichtshofs. Eine rückwirkende Änderung der Erbfolge durch den Gesetzgeber liege aus Gründen des Rückwirkungsverbots und des Vertrauensschutzes im vorliegenden Fall fern. Schließlich sei die zu entscheidende Konstellation mit dem durch den Gerichtshof entschiedenen Fall nicht vergleichbar, da vorliegend zwischen Erblasser und Sohn keine hinreichend enge persönliche Verbindung bestanden habe.
Durch Pressemitteilung vom 22.01.2010 gab das Bundesjustizministerium bekannt, dass es aufgrund der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ...