Entscheidungsstichwort (Thema)
Verhältnis der Unterbringungen gem. § 126a StPO, § 63 StGB zur Unterbringung nach dem PsychKG NRW. Unterbringungsbefehl. Erforderlichkeit
Leitsatz (amtlich)
Trotz der Vorrangregelung in § 1 Abs. 3 PsychKG NRW kann unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit / Erforderlichkeit wegen einer bereits vollzogenen öffentlich-rechtlichen Unterbringung nach dem PsychKG NRW von einem Unterbringungsbefehl gemäß § 126a StPO abgesehen werden. Voraussetzung ist allerdings, dass die Unterbringung nach dem PsychKG den Beschuldigten weniger beschwert und dass sie ebenso geeignet ist, die vom Beschuldigten ausgehende Gefahr für Dritte einzudämmen.
Normenkette
StPO § 126a; PsychKG NRW § 1 Abs. 3
Tenor
Der Beschluss des Amtsgerichts Kleve vom 27.06.2011 wird aufgehoben.
Die e i n s t w e i l i g e U n t e r b r i n g u n g des Beschuldigten in der geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses wird nach § 126a StPO angeordnet.
Gründe
Der mit der Beschwerde der Staatsanwaltschaft angefochtene Beschluss des Amtsgerichts war aufzuheben und die einstweilige Unterbringung des Beschuldigten anzuordnen. Die Voraussetzungen des § 126a StPO liegen vor, da dringende Gründe für die Annahme vorhanden sind, dass der Beschuldigte rechtswidrige Taten im Zustand der Schuldunfähigkeit oder verminderten Schuldfähigkeit begangen hat und dass seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt angeordnet werden wird. Die öffentliche Sicherheit erfordert die Unterbringung.
Der Beschuldigte ist dringend verdächtig, am 08.06., 15.06. und 16.06.2011 eine Körperverletzung (§ 223 Abs. 1 StGB) und zwei Sachbeschädigungen (§ 303 Abs. 1 StGB) begangen zu haben. Der dringende Tatverdacht ergibt sich aus den Angaben der Zeugen sowie der vorhandenen Lichtbilder.
Demnach trat der Beschuldigte am 08.06.2011 gegen 09:50 Uhr ohne Grund vier Wohnungstüren in dem Wohnhaus auf der U-Straße ein und verwüstete seine Mietwohnung. Hierdurch entstand ein Sachschaden von etwa 300 Euro.
Am 15.06.2011 gegen 14:20 Uhr begab er sich zur Postfiliale am C-Platz in L, um dort Geld zu bekommen. Als ihm dies aufgrund mangelnder Grundlagen verweigert wurde, rannte er wutentbrannt aus der Filiale und warf eine Fensterscheibe (Doppelverglasung) ein. Hierdurch entstand ein Sachschaden von etwa 400 Euro.
Schließlich begab sich der Betreuer des Beschuldigten, Herr E, am 16.06.2011 gegen 20:00 Uhr zur H-Straße in L, nachdem er von dem Vater des Beschuldigten, Sihmus Ates, telefonisch darüber informiert worden war, dass der Beschuldigte dort herumirre und randaliere. Bei dem Versuch, den Beschuldigten zu beruhigen, schlug dieser mit den Fäusten auf seinen Betreuer wild ein. Hierdurch erlitt der Geschädigte Schmerzen an beiden Handgelenken, am Oberkiefer und an der Hüfte.
Diese Taten hat der Beschuldigte nach dem bisherigen Stand der Ermittlungen mit hoher Wahrscheinlichkeit im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB) oder verminderten Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) begangen. Er leidet an einer schweren halluzinatorischen Schizophrenie und einer ebenfalls hochgradigen polyvalenten Abhängigkeit mit vorwiegenden Gebrauch von Amphetaminen, Kokain, Diazepam und diversen Halluzinogenen (Gutachten des Arztes für Psychiatrie x vom 15.09.2010). Auch in dem Gutachten des Dipl.-Psychologen y vom 31.03.2010 wird überzeugend ausgeführt, dass der Beschuldigte nur begrenzt einsichts- und gar nicht steuerungsfähig sei. Dies betrifft auch die vorliegenden Taten, da sie sämtlich aggressive Überreaktionen ohne nachvollziehbaren Grund betreffen und die gesamte Verhaltensweise des Beschuldigten ebenfalls für eine Begehung der Taten unter einer akuten Psychose spricht.
Es besteht die Gefahr erneuter erheblicher rechtswidriger Taten im Zustand der Schuldunfähigkeit oder verminderten Schuldfähigkeit. Bereits in dem Gutachten von y wurde ausgeführt, dass der Beschuldigte ohne eine Unterbringung weiter sozial dekompensieren und sich sein Zustandsbild verschlechtern werde. Zwangsläufig werde dies mit höchster Wahrscheinlichkeit auch wieder zu neuen Straftaten führen, die von ähnlicher Art seien, wie seine Vorstrafen, also auch vorsätzliche Körperverletzungen, Bedrohungen, Waffengebrauch und ähnliche aggressive Verhaltensweisen. Das Vorliegen der Voraussetzungen des § 63 wurde dort aus medizinischer Sicht sicher bejaht. Die Gefahr der Begehung erneuter Straftaten hat sich anschließend in den hiesigen Taten realisiert. Diese Gefahr besteht - obwohl die Unterbringung nach PsychKG mittlerweile aufgehoben wurde, da "keine akute Fremdgefährdung" vorliege (Beschluss AG Kleve v. 01.07.2011) - nach wie vor, da der Beschuldigte bislang - auch wegen seiner Uneinsichtigkeit und seiner Teilnahmeverweigerung - völlig unbehandelt ist und eine länger anhaltende Verbesserung seines Krankheitszustandes sich auch nicht aus der Akte ergibt.
Die einstweilige Unterbringung ist verhältnismäßig. Sie ist insbesondere zum Schutz der öffentlichen Sicherheit erforderlich.
Be...