Entscheidungsstichwort (Thema)

Sicherungsverwahrung. Erforderlichkeit der Maßregel nach Vollverbüßung. Verfassungswidrigkeit des § 66 StGB

 

Leitsatz (amtlich)

1) Auswirkungen der Rechtsprechung des EGMR und des BVerfG zur Sicherungsverwahrung auf die Auslegung des § 67c StGB.

2) Drohende schwere räuberische Erpressungen (Banküberfälle) mit scharfen Waffen und Geiselnahme sind "schwere Gewaltstraftaten", die im Sinne des Urteils des BVerfG vom 04.05.2011 auch in der Übergangszeit bis zur Neuregelung der Sicherungsverwahrung den Vollzug dieser Maßregel rechtfertigen können.

 

Normenkette

StGB §§ 67c, 66

 

Tenor

Der Vollzug der durch die Urteile

  • a)

    des Landgerichts Bielefeld vom 16.06.1988 und

  • b)

    des Landgerichts Köln vom 26.07.2002

jeweils angeordneten Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung ist erforderlich; die Vollstreckung der Maßregel wird derzeit nicht zur Bewährung ausgesetzt.

 

Gründe

Durch gleich zwei Urteile wurde gegen den Verurteilten neben langjährigen Freiheitsstrafen jeweils die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung verhängt.

a)

Durch Urteil des Landgerichts b (xxx) vom 16.06.1988 - wurde er - sogleich rechtskräftig - wegen

  • -

    schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit erpresserischem Menschenraub und Freiheitsberaubung,

  • -

    schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit Freiheitsberaubung sowie

  • -

    schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit erpresserischem Menschenraub

zu 14 Jahren Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Zugleich wurde seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung (§ 66 StGB) angeordnet.

b)

Desweiteren wurde er durch Urteil des Landgerichts k (xxx) vom 26.07.2002 - sogleich rechtskräftig - wegen

  • -

    schwerer räuberischer Erpressung tateinheitlich mit vorsätzlichem Verstoß gegen das Waffengesetz sowie wegen

  • -

    schweren Raubes tateinheitlich mit vorsätzlichem Verstoß gegen das Waffengesetz

zu 9 Jahren Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Zugleich wurde nochmals seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung (§ 66 StGB) angeordnet.

Nach vollständigem Vorwegvollzug der 14-jährigen Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Landgerichts b und dem bevorstehenden vollständigen Vorwegvollzug der 9-jährigen Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Landgerichts k (am 02.03.2012) ist nunmehr gemäß § 67c Abs. 1 StGB zu prüfen, ob der Zweck der Maßregel die Unterbringung noch erfordert. Das ist hier der Fall.

I.

Zur Person

Der 62 Jahre alte Verurteilte wuchs zunächst bei den Großeltern, dann mit drei Halbschwestern bei seiner Mutter und seinem Stiefvater auf. Aufgrund eines gespannten Verhältnisses zum Stiefvater wandte er sich seinem Großvater zu und kam dabei mit den Themen Krieg, Militär und Waffen in Berührung. Er besuchte 8 Jahre die Volksschule. Seit dem 11. Lebensjahr lief er mehrfach von Zuhause weg und fiel durch Straftaten auf. Schon im Alter von 13 Jahren begann er mit Einbrüchen und dem Diebstahl von Mopeds. Mit 14 Jahren kam er in Untersuchungshaft und in ein Heim. Nach der Planung einer Geiselnahme war er kurz (ohne konkrete Diagnose) in einem psychiatrischen Krankenhaus und sodann wieder im Elternhaus. 1965 bis 1968 absolvierte er eine Maurerlehre (später während der Haftzeiten eine Metzgerlehre und eine Ausbildung zum Schriftsetzer bzw. Mediengestalter). Im Alter von 18 Jahren erfolgte wegen Einbruchdiebstahls die erste Verurteilung zu Freiheitsentzug (8 Monate Jugendstrafe, zunächst mit Bewährung). Wegen seiner Vorstrafen wurde er nicht zur Bundeswehr eingezogen; ging jedoch zur Fremdenlegion ("Lebenstraum Militär"). Von dort desertierte er. Im Jahre 1969 musste er wegen des inzwischen erfolgten Bewährungswiderrufs die Restjugendstrafe verbüßen. Sein Arbeitsleben war wechselhaft (u.a. Bauhelfer im Betrieb des Stiefvaters und Matrose) und zu einem großen Teil von Arbeitslosigkeit geprägt. Er ist ledig und hat keine Kinder. Seit seiner Jugend lebte er nahezu ohne feste persönliche Bindungen. Er bezeichnet sich selbst als "Waffennarr;" in Verbindung mit seiner "Sucht nach Aufregung und Nervenkitzel" schlug er eine "berufskriminelle Karriere" ein.

Den ersten Banküberfall beging er am 04.02.1972. Er überfiel mit einer geladenen und entsicherten Pistole die "yy". Er erbeutete zunächst gut 14.000 DM, nahm sich dann Geiseln und ließ die Polizei benachrichtigen, um ein Fluchtauto, in das er auch Geiseln mitnehmen wollte, zu erpressen. Als die Polizei eintraf, gab es einen Schusswechsel. Eine Kugel aus einer Polizeiwaffe traf unbeabsichtigt einen Polizeibeamten in den Kopf und verletzte ihn schwer. Der Verurteilte wurde verhaftet und am 27.06.1972 verurteilte ihn das Landgericht bb (rechtskräftig seit dem 21.03.1973) insoweit wegen räuberischer Erpressung in Tateinheit mit Geiselnahme zu 8 Jahren Freiheitsstrafe.

Vom 04.02.1972 bis 05.06.1977 befand der Verurteilte sich dann in Haft. Anschließend war er nur 1 Jahr und 2 Monate auf freiem Fuß.

Nach der am 08.06.1977 erfolgten Reststrafenaussetzung zur Bewährung und Verlust des Arbeitsplatzes suchte er ein Jahr nach der Haftentlassung und noch währe...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge