Entscheidungsstichwort (Thema)

Zuständigkeit. Bewährungswiderruf. Kriesenintervention. StVK

 

Leitsatz (amtlich)

Das Gericht des ersten Rechtszuges, das die Unterbringung gem. §§ 63, 67 b StGB im Urteil zur Bewährung ausgesetzt hat, ist auch dann noch für die Widerrufsentscheidung zuständig, wenn sich der Verurteilte inzwischen in der Krisenintervention befindet.

 

Normenkette

StPO § 462a Abs. 2, § 463; StGB §§ 67b, 67h

 

Tenor

N erklärt sich die 1. Strafvollstreckungskammer des Landgerichts L für sachlich unzuständig.

 

Gründe

I.

Im Sicherungsverfahren wurde durch Urteil der 1. großen Strafkammer des Landgerichts N vom 25.11.2004 die Unterbringung der in N wohnhaften Probandin in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet (§ 63 StGB). Gleichzeitig wurde die Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung ausgesetzt (§ 67b StGB). Das Urteil wurde sogleich rechtskräftig.

Durch Beschluss vom 23.08.2010 hat das Gericht des 1. Rechtszuges (die 1. große Strafkammer des Landgerichts N) die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus - längstens bis zum 23.11.2010 - in Vollzug gesetzt (Krisenintervention gemäß § 67h StGB) und die sofortige Vollziehbarkeit (§ 463 Abs. 6 Satz 2 StPO) angeordnet.

Die Probandin, die sich zwischenzeitig in der LVR-Klinik W (Landgerichtsbezirk N) befand, wurde auf Veranlassung des Landschaftsverbandes für die restliche Zeit der Krisenintervention in die LVR-Klinik C (Landgerichtsbezirk L) aufgenommen.

Mit dem am 15.11.2010 hier eingegangenen Bewährungsheft hat die Staatsanwaltschaft N nunmehr bei der StVK des LG L den Widerruf der Aussetzung zur Bewährung beantragt.

II.

Es fehlt an der sachlichen Zuständigkeit der StVK, da für die Entscheidung über den Widerrufsantrag gem. §§ 463 Abs. 1, 462a Abs. 2 StPO das Gericht des ersten Rechtszuges zuständig ist.

Solange der Vollzug der Maßregel nicht begonnen hat, ist für Nachtragsentscheidungen das Gericht des ersten Rechtszuges zuständig (Appl in Karlsruher Kommentar zur StPO, 6. Aufl., § 462a Rn. 10; Kamann, Handbuch für die Strafvollstreckung, 2. Aufl. Rn. 304; Röttle/Wagner, Strafvollstreckung, 8. Aufl., Rn. 1047; Hubrach in Leipziger Kommentar zum StGB, 12. Aufl., § 56f Rn. 1). Der Vollzug der Maßregel gemäß § 63 StGB (Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus) hat hier noch nicht begonnen; sie wurde zeitgleich mit der Anordnung zur Bewährung ausgesetzt; ein rechtskräftiger Widerruf liegt noch nicht vor.

Dem entsprechend ist das erstinstanzliche Gericht, das in seinem Urteil gleichzeitig mit Anordnung die Aussetzung der Unterbringung zur Bewährung (§ 67b StGB) angeordnet hat, auch für die Anordnung der Krisenintervention zuständig (LG T [1. Strafkammer], Beschluss vom 10.12.2008 - 1 BRs 4/08, abrufbar bei [...] mit Anm. Peglau, jurisRR-StrafR 6/2009; Fischer, StGB, 57. Aufl., § 67h Rn. 5 in Verbindung mit § 67g Rn. 13). Zu Recht ist daher hier insoweit die 1. große Strafkammer des LG N tätig geworden.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass die Untergebrachte sich derzeit in der Krisenintervention gemäß § 67h StGB befindet. Vorbereitende Maßnahmen innerhalb des Vollstreckungsverfahrens begründen nämlich die Zuständigkeit der StVK nicht (Appl in Karlsruher Kommentar zur StPO, 6. Aufl., § 462a Rn. 10; Graalmann-Scheerer in Löwe-S, StPO, 26. Aufl., § 462a Rn. 8). Dem entsprechend werden beispielsweise auch die Untersuchungshaft und die Sicherungshaft nicht schon als Straf- bzw. Maßregelvollstreckung eingeordnet (Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., § 462a Rn. 5).

Auch praktische Überlegungen sprechen für die vorstehende Ansicht. Bei Anordnung der Krisenintervention durch das erstinstanzliche Gericht muss dieses ständig von Amts wegen prüfen, ob die Krisenintervention wegen Wegfalls der Anordnungsvoraussetzungen vorzeitig wieder aufgehoben werden kann. Es würde zu einer unnötigen Doppelbelastung der angespannten Ressourcen der Justiz und zur Gefahr widersprüchlicher Entscheidungen führen, wenn gleichzeitig für die Entscheidung über den Widerruf ein anderes Gericht zuständig wäre. Zudem ist es sachdienlich, wenn die Kammer, die auf der Grundlage einer alle erheblichen Umstände aufklärenden Hauptverhandlung "besondere Umstände" im Sinne des § 67b StGB festgestellt hat, auch diese Nachtragsentscheidung trifft.

III.

Dahingestellt bleiben kann, ob die örtliche Zuständigkeit durch einen zeitig begrenzten Aufenthalt in der Krisenintervention begründet werden kann.

Eine Verweisung an das erstinstanzliche Gericht scheidet mangels Rechtsgrundlage aus (vgl. OLG D, Beschluss vom 20.02.2009 - 2 Ws 32/09). Weder § 209 StPO noch § 462a Abs. 1 Satz 3 StPO greifen ein.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI4584584

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