Entscheidungsstichwort (Thema)
Kraftfahrerhaftung bei Tierunfall
Leitsatz (amtlich)
Zur Haftung eines Kraftfahrers, der sich nach einem Zusammenstoß mit einem Reh von der Unfallstelle entfernt in der irrigen Annahme, das Reh sei neben der Straße verendet.
Normenkette
BGB § 276; StVG § 7 Abs. 2, § 17; StVO § 1 Abs. 2, § 3 Abs. 1 S. 3, §§ 32, 34 Abs. 1 Nr. 2; VVG § 115 Abs. 1; StGB § 142
Verfahrensgang
AG St. Wendel (Urteil vom 01.09.2009; Aktenzeichen 4 C 1058/08) |
Tenor
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Amtsgerichts St. Wendel vom 1.9. 2009 (4 C 1058/08) wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
2. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
I.
Die Kläger macht gegen die Beklagten Ersatzansprüche aus einem Unfallgeschehen geltend, das sich am … auf der … zwischen … und … bei Dunkelheit ereignet hat. Nachdem die Erstbeklagte kurz nach 7.00 Uhr mit dem Fahrzeug der Zweitbeklagten (…), das bei der Drittbeklagten haftpflichtversichert ist, vor der Abzweigung nach … mit einem auf der Fahrbahn befindlichen Reh kollidiert war, setzte sie ihre Fahrt fort, ohne sich zu vergewissern, ob das Reh bereits verendet war. Kurze Zeit später kollidierte zunächst der Zeuge … mit seinem Fahrzeug mit dem auf der Fahrbahn in einer lang gezogenen Linkskurve liegenden Tier, der anschließend anhielt und seine Warnblinkanlage einschaltete. Kurz darauf kollidierte der Zeuge …, der mit dem Fahrzeug der Klägerin in Fahrtrichtung … unterwegs war, ebenfalls mit dem auf der Straße liegenden Reh, wobei das Fahrzeug der Klägerin beschädigt wurde. Die Klägerin hat ihren Schaden mit 2.572,47 EUR beziffert und diesen nebst vorgerichtlichen Anwaltskosten eingeklagt.
Das Erstgericht hat die staatsanwaltschaftliche Ermittlungsakte beigezogen und der Klage in hälftiger Höhe stattgegeben. Zur Begründung hat es ausgeführt, ein Verschulden der Erstbeklagten sei nicht nachweisbar, weil diese unwiderlegt vorgetragen habe, das angefahrene Reh habe nach der Kollision neben der Fahrbahn gelegen und habe sich offenbar erst danach auf die Fahrbahn geschleppt. Da ein Verschulden des Fahrers des Klägerfahrzeuges ebenfalls nicht nachweisbar sei, hafteten beide in Höhe der anteiligen Betriebsgefahr je zur Hälfte.
Mit ihrer Berufung verfolgt die Klägerin den abgewiesenen Zahlungsanspruch nebst vorgerichtlichen Anwaltskosten weiter. Sie meint, das Erstgericht hätte zu Unrecht ein Verschulden der Erstbeklagten verneint. Die Beklagten verteidigen das angegriffene Urteil.
Die Kammer hat die Zeugen … und … vernommen. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 19.3.2010 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
II.
Die zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhobene Berufung ist nach Durchführung der zweitinstanzlich durchgeführten Beweisaufnahme nicht begründet. Die angegriffene Entscheidung ist im Ergebnis nicht zu beanstanden.
1. Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, dass das auf den Betrieb zweier Kraftfahrzeuge zurückgehende, streitgegenständliche Unfallereignis nicht auf höherer Gewalt i.S.d. § 7 Abs. 2 StVG beruht und für keine der Unfallbeteiligten ein unabwendbares Ereignis i.S.d. § 17 Abs. 3 StVG darstellt, so dass sowohl die Klägerin gem. § 7 StVG als auch die Beklagten gem. § 7 StVG i.V.m. § 115 Abs. 1 VVG grundsätzlich für die Unfallfolgen einzustehen haben. Dies ist zutreffend und wird auch in der Berufung nicht ernstlich angegriffen. Soweit die Berufung meint, der Fahrer des klägerischen Fahrzeuges, der Zeuge …, habe die Kollision mit dem auf der Fahrbahn befindlichen, verendeten Wild nicht verschuldet, besagt dies gerade nicht, dass ein Idealfahrer bei Einhaltung auch der äußersten möglichen Sorgfalt das Unfallereignis nicht abgewendet haben könnte. Ein unabwendbares Ereignis setzt nämlich voraus, dass das Unfallereignis auch bei einem sachgemäßen, geistesgegenwärtigen Handeln erheblich über den Maßstab der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt im Sinne von § 276 BGB hinaus nicht vermeidbar war (vgl. zu § 7 Abs. 2 StVG a.F.: BGHZ 117, 337; BGHZ 113, 164, 165), so dass der Schädiger nur von solchen Schäden freizustellen ist, die sich auch bei vorsichtigem Vorgehen nicht vermeiden lassen (vgl. BGHZ 105, 65, 69). Hierfür ist indes nichts vorgetragen und auch nichts ersichtlich.
2. Im Rahmen der gem. § 17 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 StVG vorzunehmenden Abwägung der wechselseitigen Verursachungsanteile hat das Erstgericht auf Beklagtenseite ein Verschulden verneint. Hiergegen wendet sich die Berufung mit Recht.
a) Allerdings ist das Erstgericht zutreffend davon ausgegangen, dass die Frage, ob der Rehbock nach der Kollision mit dem Beklagtenfahrzeug auf oder – wie von Beklagtenseite angegeben – neben der Fahrbahn lag, nicht mehr aufklärbar ist. Entgegen der Berufung liegt es mit dem Erstgericht nicht außerhalb jeglicher Wahrscheinlichkeit, dass sich das angefahrene Tier erst nach Verlassen der Unfallstelle wieder auf die Fahrbahn geschleppt hatte, zumal sich auch der Ermittlungsak...