Entscheidungsstichwort (Thema)
Wiedereinsetzung. Doppelzustellung. Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung. Absehen vom Widerruf aus Gesundheitsgründen
Leitsatz (amtlich)
Zur Wiedereinsetzung in die Frist zur sofortigen Beschwerde gegen den Widerruf der Strafausetzung zur Bewährung bei Versäumung der Beschwerdefrist nach Doppelzustellung des Widerrufsbeschlusses an Verurteilten und Verteidiger.
Zur Frage, ob aus gesundheitlichen Gründen vom Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung abgesehen werden kann.
Normenkette
StGB § 56f; StPO §§ 44, 311 Abs. 2, § 145a Abs. 3
Tenor
Gründe
I.
Der Verurteilte wurde mit Urteil des Amtsgerichts T vom 13.07.2006 (Az. ) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Mit Beschluss vom gleichen Tag setzte das Amtsgericht die Dauer der Bewährungszeit auf drei Jahre fest. Am 01.03.2008 beging der Verurteilte einen versuchten Diebstahl. Er wurde deshalb mit Urteil des Amtsgerichts T vom 24.10.2008 (Az. ) zu einer Freiheitsstrafe von 5 Monaten verurteilt. Diese Strafe wurde nicht zur Bewährung ausgesetzt. Seine hiergegen gerichtete Berufung wurde mit Urteil der 2. kleinen Strafkammer vom 11.02.2009 (Az. ) verworfen.
Die Staatsanwaltschaft beantragte den Widerruf der Strafaussetzung aus dem Urteil vom 13.07.2006. Der Verurteilte, vom Amtsgericht schriftlich angehört, wandte gegen einen Widerruf ein, der erneuten Verurteilung könne mit einer Verlängerung angemessen Rechnung getragen werden. Aufgrund seiner gesundheitlichen Situation sei er ausreichend gestraft, so dass es eines Widerrufs der Strafaussetzung nicht bedürfe. Sein physischer und psychischer Zustand sei kritisch. Er leide unter chronischer Hepatitis C, Hyperbilirubinämie, Gastritis, einem degenerativen Wirbelsäulensyndrom, einer gemischten schizoaffektiven Störung und einer paranoiden Schizophrenie. Es bestehe die Gefahr einer Leberzirrhose und eines Leberzellkarzinoms. Er habe versucht, sich zu erhängen. Eine nervenärztliche Anbindung sei dringend angeraten; er erhalte eine erhebliche Medikation. Er sei in ambulanter psychiatrischer Behandlung und werde zum zweiten Mal stationär behandelt.
Mit Beschluss vom 08.10.2009 hat das Amtsgericht die durch das Urteil vom 13.07.2006 gewährte Strafaussetzung zur Bewährung widerrufen. Zur Begründung hat es unter anderem ausgeführt, der Verurteilte habe durch die neue Straftat gezeigt, dass sich die Erwartung des zukünftigen gesetzestreuen Verhaltens nicht erfüllt habe. Vor dem Hintergrund, dass der Verurteilte mehrfach einschlägig vorbestraft sei, komme eine andere Maßnahme als der Widerruf nicht in Betracht. Die gesundheitliche Situation vermöge nicht dazu zu führen, dass von einem Widerruf abgesehen werden könne. Die erforderliche Behandlung und Beaufsichtigung des Verurteilten könne auch im Strafvollzug geleistet werden. Der Widerrufsbeschluss wurde dem Verurteilten am 15.10.2009, seinem Verteidiger am 23.10.2009 zugestellt.
Mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 26.10.2009, eingegangen beim Amtsgericht per Fax am 26.10.2009, hat der Verurteilte sofortige Beschwerde gegen den Widerrufsbeschluss eingelegt und zugleich Einsichtnahme in das Bewährungsheft beantragt. Zur Begründung seiner Beschwerde hat er erneut vorgebracht, er leide unter einer erheblichen psychischen Erkrankung. Diese habe inzwischen zu einem zweiten Suizidversuch geführt. Er sei in der Psychiatrie des Kreisklinikums T in stationärer Behandlung und auf die regelmäßige Einnahme von Medikamenten angewiesen. Er sei auf eine Therapie angewiesen, die im Strafvollzug nicht geleistet werden könne. Im Falle einer Inhaftierung sei mit weiteren Suizidversuchen zu rechnen; auch werde eine Inhaftierung zu einer Verschlimmerung der Krankheit führen.
Dem Verteidiger wurde vom 27.10.2009 bis zum 28.10.2009 das Bewährungsheft zur Einsichtnahme überlassen. Mit Verfügung vom 16.11.2009 wies der Berichterstatter den Verurteilten darauf hin, dass die sofortige Beschwerde verspätet eingelegt worden sein dürfte. Daraufhin hat der Verurteilte mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 24.11.2009 Wiedereinsetzung in die Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde beantragt.
II.
1.
Dem Verurteilten ist gemäß § 44 Satz 1 StPO Wiedereinsetzung in die Frist zur sofortigen Beschwerde zu gewähren.
Der Verurteilte hat die Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde gemäß § 311 Absatz 2 StPO nicht eingehalten. Diese beträgt eine Woche ab Bekanntmachung der Entscheidung. Der angefochtene Beschluss des Amtsgerichts T wurde dem Verurteilten ausweislich Postzustellungsurkunde am 15.10.2009 durch Einlegung in den zu seiner Wohnung gehörenden Briefkasten zugestellt und damit gemäß § 35 Absatz 2 Satz 1 StPO bekannt gemacht. Die Frist endete demnach mit Ablauf des 22.10.2009. Der Verurteilte hat die sofortige Beschwerde erst...