Entscheidungsstichwort (Thema)

Forderung

 

Nachgehend

OLG Stuttgart (Urteil vom 20.07.2005; Aktenzeichen 4 U 71/05)

 

Tenor

1. D. beklagte … wird verurteilt, an den Kläger 143,00 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 04.12.2004 zu bezahlen.

2. Das beklagte Land trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. D. beklagte … kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, sofern nicht der Kläger zuvor eine Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Streitwert: 143,00 EUR

 

Tatbestand

Der Kläger verlangt vom beklagten Land Schmerzensgeld wegen rechtswidriger Inhaftierung.

Der Kläger … stellte nach seiner Einreise in Deutschland Asylantrag. Dieser wurde vom Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge mit Bescheid vom 13.03.2003 als unbegründet abgelehnt, der Kläger zugleich zur Ausreise aufgefordert und ihm bei Nichteinhaltung der Ausreisefrist die Abschiebung angedroht. Der Ablehnungsbescheid wurde dem Kläger jedoch nicht ordnungsgemäß zugestellt. Am 09.05.2003 teilte das Bundesamt dem Regierungspräsidium Stuttgart mit, der Ablehnungsbescheid sei bestandskräftig. Dieses beantragte am 27.02.2004 beim Amtsgericht Waiblingen die Haft für die Dauer von drei Monaten zur Sicherung der Abschiebung des Klägers anzuordnen.

In seiner Anhörung vor dem Amtsgericht Waiblingen am 27.02.2004 äußerte der Kläger, dass er nicht gewusst habe, dass er ausreisen solle. Mit Beschluss vom selben Tage ordnete das Amtsgericht Waiblingen, Az. XIV 21 B/2004, die Abschiebungshaft bis längstens 27.05.2004 an.

Aufgrund des für sofort wirksam erklärten amtsgerichtlichen Beschlusses wurde der Kläger in der JVA Mannheim inhaftiert. Auf Veranlassung des Regierungspräsidiums Stuttgart wurde er am 10.03.2004 aus der Haft entlassen.

Auf die am 27.02.2004 zu Protokoll erklärte sofortige Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Amtsgerichts Waiblingen stellte das Landgericht Stuttgart, Az. 2 T 77/04, mit Beschluss vom 29.06.2004 fest, dass der Beschluss des Amtsgerichts Waiblingen vom 27.02.2004 rechtswidrig gewesen sei, da die Voraussetzungen für die Anordnung der Abschiebehaft schon zum Zeitpunkt der angefochtenen gerichtlichen Entscheidung nicht vorgelegen hätten. Der Bescheid über die Ablehnung des Asylantrags sei mangels ordnungsgemäßer Zustellung noch nicht bestandskräftig und der Kläger daher nicht ausreisepflichtig gewesen.

Der Kläger ist der Auffassung, ihm stehe wegen der vom 27.02.2004 bis zum 10.03.2004 erlittenen Abschiebehaft ein Schmerzensgeld von 11,– EUR je Hafttag zu. Das beklagte Land könne nicht damit gehört werden, es habe keine Kenntnis von der fehlerhaften Zustellung gehabt. Es obliege der zuständigen Ausländerbehörde, sämtliche Voraussetzungen der Verhängung von Abschiebehaft zu prüfen und sich ggf. die Akten, insbesondere den Zustellungsnachweis vorlegen zu lassen. Dies gelte jedenfalls dann, wenn der Betroffene wie hier darauf hinweise, dass er von dem Ablehnungsbescheid keine Kenntnis habe. Aufgrund der Rechtswidrigkeit der Inhaftierung sei er zu entschädigen.

Der Kläger beantragt,

d. … zu verurteilen, an den Kläger EUR 143,00 nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem jeweiligen Basiszins seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.

D. beklagte … beantragt,

die Klage abzuweisen.

D. beklagte … ist der Auffassung, dass kein Anspruch auf Entschädigung für die erlittene Abschiebehaft besteht. Es trägt vor, dass der Kläger, der sich objektiv rechtswidrig in der Bundesrepublik Deutschland aufgehalten habe, aufgrund einer Entscheidung des Amtsgerichts Waiblingen in Abschiebehaft genommen worden sei, die im Einklang mit sämtlichen in Frage kommenden formellen und materiellen Vorschriften ergangen sei. Soweit der entscheidende Richter übersehen habe, dass der den Asylantrag des Klägers ablehnende Bescheid nicht ordnungsgemäß zugestellt worden sei, sei ein Schadensersatzanspruch nur begründet, wenn dieser Vorfall eine auf Vorsatz beruhende Handlung des Richters gewesen wäre. Dies sei nicht der Fall.

Auch aus den Vorschriften der EMRK könne kein Schadensersatzanspruch hergeleitet werden. Die verfahrensrechtlichen und materiellen Voraussetzungen des Art. 5 Abs. 1 EMRK seien gewahrt gewesen. Unerheblich sei, dass im Verlauf des „gesetzlichen Weges” einer Entscheidungsperson ein Flüchtigkeitsfehler unterlaufen sei. Nach dem innerstaatlichen Recht sei eine Festnahme des Klägers notwendig und geboten gewesen. Eine fehlerhafte Anwendung dieser Normen begründe, vom Fall der Willkür, die hier nicht vorliege, abgesehen, keine Verletzung von Art. 5 Abs. 1 EMRK.

Das beklagte Land beruft sich zudem auf den Haftungsausschluss gemäß § 7 PrStHG i.V.m. Art. 77 EGBGB.

Wegen der Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

I.

Die Klage ist zulässig und begründet.

1) Der Kläger hat gegen d. beklagte … einen Schmerzensgeldanspruch in Höhe von 143,00 EUR aus Art. 5 Abs. 5 EMRK.

Nach diese...

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