Dr. Johannes Ritter von Schönfeld
Rz. 9
Das materielle Erbrecht ist im Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch vom 1.6.1811 (ABGB) enthalten, welches ursprünglich in Teilen aus Österreich rezipiert wurde; mit Fürstlicher Verordnung vom 18.2.1812 wurden Teile davon in Liechtenstein eingeführt. Die Übernahme der erbrechtlichen Normen erfolgte erst 1846. Mit der Erbrechtsreform im Jahr 2012 hat der liechtensteinische Gesetzgeber jedoch partiell Neuland betreten und teilweise von der österreichischen Rezeptionsvorlage abweichende Regelungen normiert. Diesbezüglich gilt zwar bislang der Grundsatz, wonach bei der Auslegung rezipierter Rechtsnormen auch die AT-Rechtsentwicklung zu berücksichtigen ist. Gleichwohl hat der liechtensteinische Gesetzgeber die zum 1.1.2017 in Kraft getretene (tiefgreifende) Erbrechtsreform Österreichs nicht übernommen, sodass Vorsicht bei der ungeprüften Übernahme österreichischer Literatur und Judikatur geboten ist. Seit 2023 existieren neuerliche Reformbestrebungen (Erbrechtsreform), welche jedoch zum heutigen Stand noch nicht in Kraft getreten sind. Bezweckt wird eine flexiblere Ausgestaltung der Nachfolge aufgrund des Entfalls des Pflichtteils für Vorfahren sowie eine gerechtere Berücksichtigung von lebzeitig erbrachten Pflegeleistungen. Insgesamt soll die österreichische Rezeptionsgrundlage wieder verstärkt in den Fokus gerückt werden.
Rz. 10
Im Rahmen der gesetzlichen Erbfolge sind die Abkömmlinge Erben erster Ordnung (§ 732 ABGB); eheliche und nichteheliche Kinder erben zu gleichen Teilen. Die Eltern und ihre Abkömmlinge bilden die zweite Ordnung (§ 735 ABGB). Dabei gelten die Erbfolge nach Stämmen und das Repräsentationsprinzip. Zur dritten Ordnung gehören die Großeltern des Erblassers samt deren Nachkommen (§ 738 ABGB).
Rz. 11
Der Ehegatte wie auch der Partner aus einer eingetragenen Partnerschaft erhalten neben Erben der ersten Ordnung die Hälfte, neben Erben der zweiten oder dritten Ordnung zwei Drittel des Nachlasses (§ 757 ABGB). Ein Sonderfall existiert, falls neben Großeltern Nachkommen verstorbener Großeltern vorhanden sind oder Erbteile, welche Nachkommen verstorbener Geschwister zufallen würden (§ 757 Abs. 1 S. 2 und 3 ABGB). In den Erbteil des überlebenden Ehegatten ist zudem alles einzurechnen, was dieser aufgrund eines abgeschlossenen Ehevertrages oder Erbvertrages zusätzlich erhält.
Rz. 12
Als Testamentsformen kennt das liechtensteinische Recht das holographe Testament (§ 578 ABGB), das gerichtliche Testament und das vor drei Testamentszeugen privatschriftlich allographe niedergelegte und eigenhändig unterschriebene Testament (§ 579 ABGB). Das mündliche Dreizeugentestament (§ 585 ABGB) ist (gleich wie in Österreich) durch Reformgesetz vom 20.6.2012 auch in Liechtenstein aufgehoben worden. Es besteht allein die Möglichkeit der Errichtung eines mündlichen (oder schriftlichen) Nottestaments (§ 597 ABGB) vor zwei Zeugen, welches drei Monate nach Errichtung seine Gültigkeit verliert. Das gemeinschaftliche Testament von Ehegatten, Brautleuten und eingetragenen Partnern stellt keine spezielle Form des Testaments dar, da es keine besondere Formerleichterung gibt. § 583a ABGB bestimmt, dass dieses jederzeit widerruflich ist und der Bestand der einen Verfügung von dem der anderen nicht abhängig ist, außer es wurde dies eigens vereinbart. Vereinzelt wird vertreten, dass auch formunwirksame (und damit nichtige) Schenkungsverträge in ein Vermächtnis umgedeutet werden können. Im Rahmen der Reformbestrebungen wird diskutiert, die Erbeinsetzung zugunsten früherer Ehegatten/eingetragener Partner im Fall der Auflösung der Ehe/Partnerschaft als aufgehoben gelten zu lassen (wie dies bei Erbverträgen bereits der Fall ist, vgl. § 602d Abs. 3 ABGB).
Rz. 13
Das Pflichtteilsrecht orientiert sich überwiegend an der österreichischen Rezeptionsvorlage. Kinder und Ehegatten/eingetragene Partner haben demnach Anspruch auf die Hälfte des gesetzlichen Erbteils, Vorfahren (nur sofern keine Kinder existent sind) auf ein Drittel. Die Pflichtteilsquote des Ehegatten kann sich verdoppeln, sofern dieser maßgeblich zum Aufbau des Vermögens des Erblassers beigetragen hat und dieser Vermögenszuwachs den Großteil der Erbschaft ausmacht, § 765 Abs. 2 ABGB. Der Pflichtteilsanspruch ist im System des Geldpflichtteils verankert, mithin auf die Zahlung eines Geldbetrages gerichtet und kann unter den in § 783a ABGB niedergelegten Voraussetzungen gestundet werden. § 773a ABGB gibt dem Erblasser die Möglichkeit, bei jederzeitigem Fehlen eines Naheverhältnisses den Pflichtteil um die Hälfte zu mindern. Daneben findet durch Art. 29 Abs. 5 IPRG eine Begrenzung des Anspruchs auf das "für den Erwerbsvorgang maßgebliche Recht" statt, sofern Vermögen tatsächlich und rechtlich an einen Dritten (z.B. Stiftung) übergegangen ist. Die Frist für Pflichtteilsergänzung an nicht pflichtteilsberechtigte Personen beträgt (nach derzeitigem Recht) zwei Jahre, vgl. § 785 Abs. 3 S. 2 ABGB.
Rz. 14
Das Rechtsinstitut der Testamentsvollstreckung fin...