Sachverhalt
Bei dem rumänischen Verfahren ging es um die Auslegung von Art. 16 und 18 MwStSystRL (einer Lieferung von Entgelt gleichgestellte Vorgänge). Das rumänische MwStG sah im Streitzeitraum vor, dass Fehlbestände im Warenbestand des Unternehmers einer Lieferung von Entgelt gleichgestellt sind, obwohl Art. 16 und 18 MwStSystRL diesen Fall nicht regeln. Im Vorlagefall, in dem eine Leasinggesellschaft ihre Leasinggegenstände nach Kündigung des Leasingvertrags trotz Einleitung von Zwangsmaßnahmen nicht zurückerhalten hatte, war streitig, ob eine Besteuerung des Fehlens der Gegenstände im Bestand des Leasingunternehmens im Einklang mit der MwStSystRL steht. Die rumänische Finanzbehörde war der Auffassung, dass die Klägerin verpflichtet gewesen sei, nach Ablauf der im Vertrag vorgesehenen Frist für die Rückgabe des Gegenstands durch den Leasingnehmer Art. 128 Abs. 4 Buchst. d des RO-MwStG über die Lieferung an sich selbst anzuwenden und MwSt zu vereinnahmen sowie eine Eigenrechnung nach Art. 155 Abs. 2 RO-MwStG auszustellen. Die Klägerin war der Auffassung, aus der MwStSystRL gehe, was die Besteuerung unentgeltlicher Wertabgaben betreffe, nicht hervor, dass die Situation, in der Gegenstände nach Kündigung eines Finanzierungsleasingvertrags nicht zurückerlangt würden, aus mehrwertsteuerlicher Sicht eine Lieferung von Gegenständen darstellen könnten.
Entscheidung
Der EuGH hat entschieden, dass der Fall, dass die Unmöglichkeit, die Gegenstände, auf die sich ein Leasingvertrag bezieht, zurückzuerlangen, unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens von der Regelung des Art. 16 MwStSystRL nicht erfasst wird. Der EuGH hat wiederholt, dass der Zweck von Art 16 MwStSystRL darin besteht, sicherzustellen, dass der Unternehmer, der für seinen privaten Bedarf oder den seines Personals einen Gegenstand entnimmt, und ein Endverbraucher, der einen Gegenstand gleicher Art erwirbt, gleich behandelt werden. Die im Ausgangsverfahren nicht zurückgegebenen Leasinggüter können nicht als für den privaten Bedarf des Unternehmers oder für den Bedarf seines Personals bestimmt angesehen werden, da sie sich nicht in deren Besitz befinden. Der Umstand, dass der Leasingnehmer weiterhin im Besitz dieser Gegenstände ist, ohne irgendeine Gegenleistung zu entrichten, beruht auf dessen mutmaßlich schuldhaftem Verhalten und nicht auf einer unentgeltlichen Zuwendung dieser Gegenstände vom Leasinggeber an den Leasingnehmer.
Die nicht zurück gegebenen Gegenstände können nach dem Urteil auch nicht als in Bezug auf das Unternehmen des Steuerpflichtigen für "unternehmensfremde Zwecke" verwendet angesehen werden. Denn die Vermietung und damit das Zurverfügungstellen der Gegenstände an den Leasingnehmer stellt den Kern der wirtschaftlichen Tätigkeit des Leasinggebers dar. Der Umstand, dass es dem Unternehmer nicht gelingt, die Gegenstände nach der Kündigung des Leasingvertrags wiederzuerlangen, bedeutet nach dem Urteil nicht, dass er sie in Bezug auf sein Unternehmen für "unternehmensfremde Zwecke" verwendet hätte. Damit ist Art. 16 MwStSystRL auf solche Fälle nicht anwendbar.
Gleiches gilt nach dem Urteil für Art. 18 MwStSystRL, wonach die Mitgliedstaaten bestimmte weitere Vorgänge einer Lieferung gegen Entgelt gleichstellen dürfen. Der Kläger hatte beim Erwerb der Leasinggegenstände den vollen Vorsteuerabzug. Bereits deshalb ist Art. 18 Buchst. a MwStSystRL nicht anwendbar. Art. 18 Buchst. b und c MwStSystRL sind nicht anwendbar, weil
der Kläger vorliegend weder die Leasinggegenstände zu einem "nicht besteuerten Tätigkeitsbereich" im Sinne von Art. 18 Buchst. b MwStSystRL verwendet hat, noch seine wirtschaftliche Tätigkeit aufgegeben hat, wie dies Art. 18 Buchst. c MwStSystRL verlangt.
Hinweis
Das deutsche Umsatzsteuerrecht wird durch die EuGH-Entscheidung bestätigt, da nach dem UStG Fehlbestände im Warenbestand/Anlagevermögen keinen Besteuerungstatbestand auslösen. Bereits nach dem EuGH-Urteil v. 14.7.2005, C-435/03 (British American Tobacco International Ltd, Newman Shipping & Agency Company NV) ist in Fällen, in denen Tabakwaren durch Diebstahl unbelastet in den verbrauchsteuerrechtlich freien Verkehr gelangen, eine Umsatzbesteuerung nach Unionsrecht nicht möglich. Abgesehen von Einfuhren und innergemeinschaftlichen Erwerben können nach dem Urteil nach Art. 2 der 6. EG-Richtlinie nur Lieferungen der Mehrwertbesteuerung unterliegen. Lieferungen liegen nach Artikel 5 der 6. EG-Richtlinie vor, wenn ein Gegenstand mit der Befähigung übertragen wird, wie ein Eigentümer darüber zu verfügen (Art. 5 Abs. 1 der 6. EG-Richtlinie). Diebstähle erfüllen diesen Tatbestand nicht. Der EuGH hat in diesem Sinne auch für den Fall der vertragswidrigen Nichtrückgabe eines Leasinggegenstands durch den Leasingnehmer entschieden.
Link zur Entscheidung
EuGH, Urteil vom 17.07.2014, C-438/13