Jolanta Zupkauskaité, Yvonne Goldammer
Rz. 12
Liegen die vorgenannten Voraussetzungen nicht vor, kann die Ehe für nichtig erklärt werden. Weitere Gründe für eine Nichtigerklärung der Ehe sind die unterlassene Information des anderen Ehepartners wegen einer Geschlechtskrankheit oder Aids-Infektion (Art. 3.37 Abs. 1 ZGB), die Scheinehe (Art. 3.39 ZGB) und das Fehlen des freien Willens zur Eheschließung (Art. 3.40 ZGB). Der freie Wille kann z.B. aufgrund eines Rauschzustands, hervorgerufen durch Trunkenheit, Medizin- oder Rauschgiftkonsum, sowie aufgrund einer sich verschlimmernden psychischen Erkrankung oder bei einer altersbedingten Unfähigkeit, eigene Handlungen vorzunehmen, ausgeschlossen sein, ferner auch bei einer Eheschließung infolge Gewalteinwirkung, Drohung oder Betrugs (z.B. durch falsche Angaben über das Bestehen einer Schwangerschaft, fehlende Mitteilung von Informationen, die von Bedeutung sein können, oder Handeln unter anderem Namen u.Ä.).
Rz. 13
Die Ehe kann auch wegen Vorliegens eines schwerwiegenden Irrtums für nichtig erklärt werden, der sich auf den anderen Ehepartner bezieht und dessen Kenntnis ein ausreichender Grund für den Ehepartner gewesen wäre, die Ehe nicht zu schließen. Gemäß Art. 3.40 Abs. 3 ZGB gilt als schwerwiegender Fehler die gesundheitliche Verfassung (z.B. Unfruchtbarkeit, sexuelle Impotenz, Epilepsie), die sexuelle Abnormalität eines Ehepartners, die das gewöhnliche Familienleben unmöglich macht, sowie ein schwerwiegendes Verbrechen, das der Ehepartner begangen hat (gesetzliche Vermutung). Das "schwerwiegende Verbrechen" ist nach der im litauischen Strafgesetzbuch festgelegten Definition so zu verstehen, dass hierbei nur die schweren und sehr schweren Verbrechen in Betracht kommen (Art. 11 Abs. 5–6 StGB). Die Annahme eines schwerwiegenden Verbrechens als "schwerwiegender Fehler" setzt voraus, dass diese Tatsache durch ein rechtskräftiges Gerichtsurteil bestätigt wurde. Dabei ist die Zeit zwischen Verkündung des Urteils und Eheschließung sowie die Löschung einer Vorstrafe und die Unterrichtung des anderen Ehegatten zu berücksichtigen.
Rz. 14
Die Ehe kann nur durch ein Gericht aufgehoben werden, wobei gem. Art. 3.37 Abs. 3 ZGB die für nichtig erklärte Ehe als von Anfang an (ab initio) nichtig gilt.
Das Gericht ist verpflichtet, die Entscheidung über die Aufhebung der Ehe elektronisch spätestens am Folgetag des Rechtskräftigwerdens der Entscheidung an das zuständige Standesamt weiterzuleiten.
Rz. 15
Das Gericht kann die Nichtigerklärung der Ehe ablehnen, wenn einzelne Nichtigkeitsgründe im Laufe des Verfahrens nicht mehr gegeben sind. Das ist u.a. dann der Fall, wenn die Nichtigerklärung der Ehe zwischen Minderjährigen den Interessen beider oder einem der Ehepartner entgegensteht. Die Ehe kann auch nicht als Scheinehe bezeichnet werden, wenn die Antragsteller vor der Stellung des Antrags auf Feststellung der Nichtigkeit familiäre Beziehungen geschaffen haben oder seit über einem Jahr zusammenleben oder ein gemeinsames Kind geboren wurde oder erwartet wird. Weiterhin kann die Ehe, die ohne den ausdrücklichen freien Willen eines Ehepartners geschlossen wurde, nicht für nichtig erklärt werden, wenn die Ehepartner nach der Eheschließung oder Kenntnisnahme von den Umständen, die einen ausreichenden Grund für die Nichtigerklärung darstellen, seit über einem Jahr zusammenleben oder ein gemeinsames Kind haben bzw. erwarten.