Jolanta Zupkauskaité, Yvonne Goldammer
Rz. 81
Mit Inkrafttreten des ZGB im Jahre 2001 wurde die nichteheliche Lebensgemeinschaft (partnerystė) in Litauen durch Gesetz eingeführt. Die Rechtsverhältnisse der nichtehelichen Lebensgemeinschaft sind in Art. 3.229–3.235 ZGB geregelt. Diese Normen bestimmen die Vermögensverhältnisse zwischen Mann und Frau, die ihre nichteheliche Lebensgemeinschaft gemäß der gesetzlichen Bestimmungen eingetragen haben und länger als ein Jahr mit dem Ziel zusammenleben, eine Familie zu gründen. Das ZGB ist Grundlage für die Regelungen hinsichtlich des Vermögens, aber nicht für die Lebensgemeinschaftseintragung bzw. -abmeldung. Ohne das entsprechende Gesetz über die Eintragung der nichtehelichen Lebensgemeinschaft können die Art. 3.229–3.235 ZGB praktisch nicht angewandt werden. Insoweit wurde aber noch kein entsprechendes Gesetz durch den Gesetzgeber verabschiedet. Seit 2002 gab es mehrere Gesetzesentwürfe über die Partnerschaft (nichteheliche Gemeinschaft), die vom Parlament wegen Nachbesserungen zurückgewiesen worden sind. Da das ZGB von einer eingetragenen nichtehelichen Lebensgemeinschaft spricht, befasst sich der Gesetzentwurf mit den Voraussetzungen und Bestimmungen der Partnerschaftseintragung sowie mit der Frage, welche Behörde die Eintragung vornehmen soll usw. Der Entwurf wird kritisiert, weil er die nichteheliche Lebensgemeinschaft in vielen Punkten einer Ehe gleichstellt und deswegen die nichteheliche Lebensgemeinschaft für die praktische Anwendung unattraktiv macht.
Rz. 82
Das Verfassungsgericht Litauens hat in einer vielbeachteten Entscheidung vom 18.9.2011 (Nr. 21/2008) in einem Obiter dictum angedeutet, dass es nicht als verfassungsgemäß anzusehen ist, die der Ehe eingeräumten Rechte nicht auch auf andere Familienkonstellationen zu übertragen. So seien unter "Familie" nicht nur verheiratete oder geschiedene Erwachsene zu verstehen. Es bestehe ebenso Bedarf, nicht nur die vorgenannten Personen, sondern auch unverheiratete oder ehemals verheiratete Männer und Frauen sowie deren Kinder (Stiefkinder) unter den gesetzlichen Schutz der Familie zu stellen. Denn nach Auffassung des Verfassungsgerichts zeichne sich "Familie" durch emotionale Nähe, wechselseitiges Verständnis, gegenseitige Verantwortung, gegenseitigen Respekt, gemeinsame Erziehung der Kinder und ähnliche Verbindungen sowie Selbstbestimmung aus. Weiter hat das Verfassungsgericht angemerkt, dass ein verfassungskonformes Familienkonzept durch gegenseitige Verantwortung, Verständnis, emotionale Nähe, Hilfe der Familienmitglieder untereinander sowie freiwillige Selbstbestimmung geleitet bzw. bestimmt sei.
In seiner Entscheidung vom 11.1.2019 wird das Verfassungsgericht in seiner Argumentation konkreter und führt aus, dass der Begriff der "Familie" in Art. 38 der litauischen Verfassung nicht nur die Familie umfasse, welche auf der Grundlage einer Eheschließung gegründet worden ist. Auch Familien, die nicht auf einer Eheschließung basieren, unterlägen dem rechtlichen Schutz des verfassungsrechtlichen Begriffes einer Familie.