Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. vorläufige Leistungen. ungeklärte Erwerbsfähigkeit. Nachrang der Sozialhilfe

 

Orientierungssatz

1. Im Falle der Konkurrenz von Leistungen nach dem SGB 2 und SGB 12 erhält der Hilfebedürftige bis zur Klärung der Frage der Erwerbsminderung vorläufige Leistungen nach dem SGB 2.

2. Der Bezug von Leistungen nach dem SGB 12 bleibt auch dann ausgeschlossen, wenn sich der Hilfebedürftige weigert, den für Leistungen nach dem SGB 2 erforderlichen Antrag zu stellen.

 

Tenor

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Stuttgart vom 11. April 2005 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Die unter Beachtung der Vorschrift des § 173 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde, der das Sozialgericht (SG) Stuttgart nicht abgeholfen hat, ist zulässig; sie ist jedoch nicht begründet.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) kann das Gericht der Hauptsache, soweit nicht ein Fall des Abs. 1 a.a.O. vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2 a.a.O.).

Vorliegend kommt, da die Voraussetzungen des § 86b Abs. 1 SGG ersichtlich nicht gegeben sind und es auch nicht um die Sicherung eines bereits bestehenden Rechtszustands geht (Sicherungsanordnung (Abs. 2 Satz 1 a.a.O.)), nur eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG in Betracht (vgl. dazu Meyer-Ladewig, SGG, 7. Auflage, § 86b Rdnrn. 25 ff.; Kopp/Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), 13. Auflage, § 123 Rdnrn. 7 ff.). Es kann im hier zu entscheidenden Fall offen bleiben, ob in den Verfahren betreffend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Sozialgesetzbuch (SGB II) oder dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) ein grundsätzliches Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache besteht, was die Bewilligung von Leistungen verbietet; denn auch in einem solchen Fall kann der Hauptsache ausnahmsweise vorgegriffen werden, wenn anders effektiver Rechtsschutz nicht zu erreichen ist und ein Zuwarten in der Hauptsache unzumutbar wäre (vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) BVerwGE 63, 110, 111; Landessozialgericht Berlin Breithaupt 1989, 614, 616; Meyer-Ladewig, a.a.O. Rdnr. 31; Kopp/Schenke, a.a.O., Rdnrn. 13 ff.; zu den Zweifeln an der Existenz eines generellen Verbots - gerade in Angelegenheiten der Sozialhilfe - vgl. Funke-Kaiser in Bader, VwGO, 2. Auflage, § 123 Rdnr. 58). Erforderlich ist jedenfalls die Dringlichkeit der erstrebten vorläufigen Regelung (Anordnungsgrund). Des Weiteren setzt der Erlass einer einstweiligen Anordnung grundsätzlich voraus, dass bei der im Verfahren gebotenen summarischen Prüfung ein Erfolg in der Hauptsache mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (Anordnungsanspruch; vgl. Kopp/Schenke, a.a.O., Rdnr. 14; Schoch in Schmidt-Aßmann/Pietzner, § 123 Rdnr. 66). Die Voraussetzungen des Anordnungsanspruchs und Anordnungsgrundes sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung).

Im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ist nicht weiter darauf einzugehen, dass die Antragsgegnerin über das am 24. Januar 2005 beim Bezirksrathaus M. eingegangene, als Antrag auf Leistungen der Sozialhilfe nach §§ 8, 19 SGB XII aufzufassende Schreiben des Antragstellers vom 18. Januar 2005 überhaupt noch keine förmliche Verwaltungsentscheidung getroffen hat. Denn bereits der Anordnungsanspruch ist - wie das SG Stuttgart im Ergebnis zutreffend erkannt hat - nicht ausreichend glaubhaft gemacht.

Nach § 21 Satz 1 SGB XII erhalten Personen, die nach dem SGB II leistungsberechtigt sind, - vom Ausnahmefall des § 34 SGB XII abgesehen - keine Leistungen für den Lebensunterhalt nach dem SGB XII; eine entsprechende Ausschlussregelung ist in § 5 Abs. 2 Satz 1 SGB II vorgesehen. Leistungen nach dem SGB II erhalten gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 Personen, die u.a. das 15. Lebensjahr vollendet und das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, erwerbsfähig sind und hilfebedürftig sind. Nach der gesetzlichen Definition in § 8 Abs. 1 SGB II ist erwerbsfähig, wer nicht wegen Krankheit oder Behinderung auf absehbare Zeit außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbsfähig zu sein. Dass der Antragsteller, der das 65. Lebensjahr erst mit Ablauf des XX.XX.2005 vollendet, weniger als drei Stunden leistungsfähig ist, vermag der Senat bei der im Verfahren gebotenen summarischen Prüfung auch unter Würdigung von dessen Vorbringen mangels aussagekräftiger ärztli...

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