Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Nichtvorliegen einer Aufsichtsangelegenheit iS von § 29 Abs 2 Nr 2 SGG
Leitsatz (amtlich)
Eine Aufsichtsangelegenheit iS von § 29 Abs 2 Nr 2 SGG liegt nicht schon dann vor, wenn sich die Klage gegen einen Bescheid der Aufsichtsbehörde richtet (hier: Schließung einer Krankenkasse).
Hinzukommen muss, dass die Klage von einer Körperschaft erhoben wird, die der Aufsicht unterliegt oder unterliegen könnte.
Tenor
Das Landessozialgericht Baden-Württemberg in Stuttgart ist sachlich und örtlich unzuständig.
Der Rechtsstreit wird an das sachlich und örtlich zuständige Sozialgericht Hamburg verwiesen.
Gründe
I.
Mit der am 1. Juni 2011 beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) erhobenen Klage wendet sich der Kläger gegen den Bescheid der Beklagten vom 4. Mai 2011, mit dem diese die Schließung der CITY BKK mit Sitz in S. gemäß § 153 Satz 1 Nr 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) iVm § 90 Abs 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) mit Ablauf des 30. Juni 2011 verfügt hat.
Der Kläger macht geltend, er sei als Arbeitnehmer der CITY BKK Drittbetroffener und daher klagebefugt. Denn mit der Schließung der CITY BKK ende auch sein Arbeitsverhältnis gemäß § 164 Abs 4 Satz 1 iVm § 155 Abs 4 Satz 9 SGB V. Die genannten Regelungen verstießen gegen höherrangiges Recht. Die CITY BKK sei nicht davon entbunden, das Arbeitsverhältnis ggf nach § 1 Kündigungsschutzgesetz unter Beachtung sozialer Auswahlkriterien zu kündigen. Deshalb habe er auch parallel Feststellungsklage zum Arbeitsgericht Hamburg erhoben. Für seine Klage gegen den Schließungsbescheid seien die Landessozialgerichte funktionell zuständig. Denn aufgrund des mit der Schließung einhergehenden Arbeitsplatzverlustes sei er als Arbeitnehmer beschwert, sodass es sich auch um eine Aufsichtsangelegenheit iS von § 29 Abs 2 Nr 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) handle. Der Wortlaut des § 29 Abs 2 Nr 2 SGG (“gegenüber„) beziehe sich nicht auf die vom LSG zu treffende Entscheidung, sondern auf die primär gegenüber den Trägern der Sozialversicherung ergehenden Aufsichtsmaßnahmen.
Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten und weist im Wesentlichen darauf hin, dass die Zuständigkeit des LSG nicht gegeben sei, da § 29 Abs 2 Nr 2 SGG nur Streitigkeiten zwischen Krankenkassen und der für sie zuständigen Aufsichtsbehörde erfasse. Allein die Tatsache, dass sich der Kläger als Beschäftigter der CITY BKK gegen den Schließungsbescheid wende, führe nicht dazu, dass es sich um eine Aufsichtsangelegenheit iS von § 29 Abs 2 Nr 2 SGG handle. Daraus folge, dass das Sozialgericht Hamburg sachlich und örtlich zuständig sei. Darüber hinaus sei die Klage bereits mangels Klagebefugnis unzulässig. Denn die Bestimmungen des Aufsichtsrechts hätten keinen drittschützenden Charakter.
Der Senat hat die Beteiligten darauf hingewiesen, dass er beabsichtigt, den Rechtsstreit an das Sozialgericht Hamburg zu verweisen. Die Beteiligten haben Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten des Senats und auf die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen.
II.
Für den hier zu entscheidenden Rechtsstreit ist das LSG sachlich und örtlich unzuständig. Der Senat hat dies nach Anhörung der Beteiligten von Amts wegen gemäß § 98 Satz 1 SGG iVm § 17 a Abs 2 Satz 1 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) auszusprechen und den Rechtsstreit zugleich an das sachlich und örtlich zuständige Sozialgericht Hamburg zu verweisen.
Das angerufene Gericht hat von Amts wegen seine sachliche und örtliche Zuständigkeit zu prüfen und festzustellen (Ulmer in Hennig, Kommentar zum SGG, § 98 RdNr 8, Stand April 2010; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 9. Aufl 2008, § 98 RdNr 4; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 5. Aufl 2008, Kap VII RdNr 46; Schenke in Kopp/Schenke, Kommentar zur Verwaltungsgerichtsordnung [VwGO], 17. Aufl 2011, § 83 RdNr 5).
Nach § 29 Abs 2 SGG in der hier ab 1. April 2011 geltenden Fassung entscheiden die Landessozialgerichte im ersten Rechtszug als sachlich zuständiges Gericht über
1. Klagen gegen Entscheidungen der Landesschiedsämter und gegen Beanstandungen von Entscheidungen der Landesschiedsämter nach dem Fünften Buch Sozialgesetzbuch, gegen Entscheidungen der Schiedsstellen nach § 120 Abs 4 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch, der Schiedsstelle nach § 76 des Elften Buches Sozialgesetzbuch und der Schiedsstellen nach § 80 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch,
2. Aufsichtsangelegenheiten gegenüber Trägern der Sozialversicherung und ihren Verbänden, gegenüber den Kassenärztlichen und Kassenzahnärztlichen Vereinigungen sowie der Kassenärztlichen und Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung, bei denen die Aufsicht von einer Landes- oder Bundesbehörde ausgeübt wird,
3. Klagen in Angelegenheiten der Erstattung von Aufwendungen nach § 6b des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch,
4. Anträge nach § 55a SGG.
Entg...