Entscheidungsstichwort (Thema)
einstweiliger Rechtsschutz. kein Rechtsschutzbedürfnis mangels förmlicher Antragsablehnung durch Grundsicherungsträger. Mitwirkungspflicht. Vorlage von lesbaren (ungeschwärzten) Kontoauszügen. Verfassungsmäßigkeit. Grundsicherung für Arbeitsuchende. Berechtigter. mehrere Mobilfunkverträge. Indiz für eheähnliche Gemeinschaft
Leitsatz (amtlich)
1. Für den Erlass einer Regelungsanordnung fehlt es an einem Rechtsschutzbedürfnis für ein Tätigwerden des Gerichts, wenn der Grundsicherungsträger den Leistungsantrag noch nicht förmlich abgelehnt hat.
2. Ein Leistungsempfänger ist verpflichtet, auf Verlangen des Grundsicherungsträgers vollständig lesbare (ungeschwärzte) Kontoauszüge vorzulegen.
Orientierungssatz
1. Ein Schreiben, mit dem der Arbeitsuchende aufgefordert wird, bestimmte Unterlagen vorzulegen, ist kein anfechtbarer Verwaltungsakt, selbst wenn es einen Hinweis des Grundsicherungsträgers gem § 66 Abs 3 SGB 1 beinhaltet.
2. Verweigert der Arbeitsuchende die Vorlage ungeschwärzter bzw lesbarer Kontoauszüge, verletzt er nicht nur seine Mitwirkungspflicht; vielmehr kann der Grundsicherungsträger davon ausgehen, dass eine Hilfebedürftigkeit, für deren Vorliegen der Arbeitsuchende die Beweislast trägt, nicht nachgewiesen ist.
3. Das Lesen der ungeschwärzten Kontoauszüge ist nicht nur dann erforderlich iS der §§ 67ff SGB 10, wenn der Verdacht besteht, dass der Arbeitsuchende falsche Angaben gemacht hat. Es liegt darin weder eine Verletzung des informationellen Selbstbestimmungsrechts noch anderer Grundrechte des Arbeitsuchenden vor.
4. Geht aus den Kontoauszügen hervor, dass der Arbeitsuchende mehrere Verträge mit Kommunikationsunternehmen (Mobiltelefon) bedient, obwohl er allein mit dem ihm vom Grundsicherungsträger überwiesenen Geld höchstens einen Vertrag finanzieren könnte, so kann dies ein Indiz für das Zusammenleben in eheähnlicher Gemeinschaft gem § 7 Abs 3 Nr 3 Buchst c SGB 2 darstellen.
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Heilbronn vom 30. Oktober 2007 aufgehoben und der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt.
Außergerichtliche Kosten sind im Antrags- und Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Die Antragstellerin macht Leistungen für Unterkunft und Heizung geltend.
Die 1969 geborene ledige Antragstellerin ist österreichische Staatsangehörige. Sie bewohnt seit 2001 eine ca. 55 m 2 große 2-Zimmer-Wohnung mit Küche und Bad in H.. Die Kaltmiete für diese Wohnung beläuft sich seit November 2006 auf 240,00 € im Monat. An Nebenkosten hat sie monatlich 59,00 € für Kosten der Heizung und der Zubereitung von Warmwasser und 61,00 € für sonstige Betriebskosten (Wasser, Abwasser, Grundsteuer, allgemeine Beleuchtung, Schornsteinfeger und Kehrwoche) als Vorauszahlung an die Vermieter zu zahlen. Die Antragstellerin erhält seit 2005 Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende von der Bundesagentur (Regelleistung) und der Antragsgegnerin (Kosten der Unterkunft). Die Bundesagentur für Arbeit gewährte der Antragsstellerin zuletzt mit Bescheid vom 09.08.2007 für die Zeit vom 01.09.2007 bis 29.02.2008 Leistungen in Höhe von monatlich 347,00 €.
Auf den Weiterbewilligungsantrag der Antragstellerin vom Juli 2007 forderte die Antragsgegnerin die Antragstellerin mit Schreiben vom 05.09.2007 auf, bis zum 20.09.2007 folgende Unterlagen einzureichen:
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- eine vom Vermieter ausgefüllte Mietbescheinigung |
- Kontoauszüge für die letzten drei Monate |
- eine Gesamtübersicht aller Bankinstitute, bei denen die Antragstellerin Sparanlagen hat |
- Verfügungen über Wertpapiere, Bausparverträge, Lebensversicherungen usw. |
Dieser Aufforderung ist die Antragstellerin zunächst nicht nachgekommen. Sie hat stattdessen am 13.09.2007 beim Sozialgericht Heilbronn (SG) den Erlass einer einstweiligen Anordnung (S 7 AS 3379/07 ER) beantragt, mit dem Ziel, ihr die Kosten der Unterkunft vorläufig zu bewilligen. Zur Begründung hat sie vorgebracht, die Antragsgegnerin verweigere die Bearbeitung ihres bereits im Juli 2007 gestellten Leistungsantrages und verlange Daten, die ihr Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung verletzten. Alle leistungsrelevanten Belege lägen der Antragsgegnerin bereits vor. Die von ihr geforderte Mitwirkungspflicht werde überstrapaziert.
Die Antragsgegnerin ist dem Antrag entgegen getreten und hat geltend gemacht, es sei unrichtig, dass sie die Bearbeitung des Weiterbewilligungsantrages verweigere. Sie habe in ihrem Schreiben vom 05.09.2007 lediglich darauf hingewiesen, dass bis zur Vorlage der angeforderten Unterlagen über den Antrag nicht entschieden werden könne. Seit Vorlage der Mietbescheinigung vom 24.08.2004 seien drei Jahre vergangen. Auch lasse sich die Antragsgegnerin in regelmäßigen Abständen von den Leistungsempfängern deren Kontoauszüge für die letzten drei Monate vorlegen. Dies diene der Überprüfung, ob Geldzuflüsse vorhanden sind, die der Antragsgegnerin nicht bekannt gegeben worden seien oder ob Vermögen existie...