Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. formelle und materielle Rechtskraft von Beschlüssen im einstweiligen Rechtsschutz
Leitsatz (amtlich)
Auch Beschlüsse in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes sind der formellen und materiellen Rechtskraft fähig. Ein wiederholter, auf dasselbe Rechtsschutzziel gerichteter Antrag ist deshalb bei unveränderter Sach- und Rechtslage unzulässig.
Tenor
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Mannheim vom 15. Juni 2010 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.
Gründe
Die unter Beachtung der §§ 172, 173 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) eingelegte Beschwerde der Antragstellerin ist zulässig, jedoch nicht begründet.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit nicht ein Fall des Abs. 1 a.a.O. vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2 a.a.O.). Der Antrag ist schon vor Klageerhebung zulässig (§ 86b Abs. 3 SGG).
Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt zunächst die Statthaftigkeit und Zulässigkeit des Rechtsbehelfs voraus. Die Begründetheit des Antrags wiederum hängt vom Vorliegen der Anordnungsvoraussetzungen, nämlich den Erfolgsaussichten des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) sowie der Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung (Anordnungsgrund), ab (ständige Senatsrechtsprechung, vgl. z.B. Beschlüsse vom 1. August 2005 - L 7 AS 2875/05 ER-B - FEVS 57, 72 und vom 17. August 2005 - L 7 SO 2117/05 ER-B - FEVS 57, 164). Die Anordnungsvoraussetzungen sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung ≪ZPO≫).
Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung liegen nicht vor. Der von der Antragstellerin am 4. Juni 2010 beim Sozialgericht Mannheim erneut gestellte Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist bereits aufgrund der Rechtskraft des unanfechtbaren Senatsbeschlusses vom 13. April 2010 (L 7 SO 588/10 ER-B) unzulässig.
Beschlüsse in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes erwachsen in Ansehung der Vorschriften der §§ 172, 177 SGG in formelle Rechtskraft; darüber hinaus ist in Rechtsprechung und Schrifttum - soweit ersichtlich - einhellig anerkannt, dass sie auch der materiellen Rechtskraft (entsprechend § 141 SGG) fähig sind (vgl. Senatsbeschluss vom 17. Dezember 2009 - L 7 SO 5021/09 ER -; Landessozialgericht ≪LSG≫ Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 23. Juli 2007 - L 19 B 86/07 AS -; Schleswig-Holst. LSG, Beschluss vom 22. Oktober 2007 - L 4 B 583/07 KA ER -; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 5. November 2007 - L 8 AL 3045/07 B -; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 5. November 2008 - L 34 B 1982/08 AS ER - ≪alle juris≫; Bundesfinanzhof ≪BFH≫ BFHE 166, 114; Krodel, Das sozialgerichtliche Eilverfahren, 2. Auflage, Rdnrn. 40 ff.; Keller in Meyer-Ladewig u.a., SGG, 9. Auflage, § 86b Rdnr. 44; Binder in Hk-SGG, 3. Auflage, § 86b Rdnr. 62; Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 5. Auflage, Rdnrn. 79 ff.). Die Rechtskraft dient dem Rechtsfrieden und der Rechtssicherheit, indem der wiederholte Streit der Beteiligten über dieselbe Streitsache mit der Gefahr einander widersprechender Entscheidungen verhindert wird (vgl. Bundessozialgericht ≪BSG≫ BSGE 13, 181; BSG SozR 4-1500 § 141 Nr. 1; Bundesverwaltungsgericht ≪BVerwG≫ BVerwGE 91, 256; Keller in Meyer-Ladewig u.a., a.a.O., § 141 Rdnr. 3). Ein derartiges Bedürfnis besteht auch im Verfahren der einstweiligen Anordnung, denn dieser Rechtsbehelf hat nicht die bloß vorläufige Regelung eines endgültigen Zustands, sondern die endgültige Regelung eines vorläufigen Zustandes zum Gegenstand (vgl. BFHE 166, 114; Krodel, a.a.O., Rdnr. 43; Finkelnburg/Dombert/Külpmann, a.a.O., Rdnr. 79). Ein wiederholter, auf dasselbe Rechtsschutzziel gerichteter Antrag ist deshalb im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes jedenfalls bei unveränderter Sach- und Rechtslage unzulässig (vgl. Senatsbeschluss vom 17. Dezember 2009 a.a.O.; BFHE a.a.O.; Keller in Meyer-Ladewig u.a., a.a.O., Rdnr. 45a; Binder in Hk-SGG, a.a.O.; Finkelnburg/Dombert/Külpmann, a.a.O., Rdnr. 80). Eine derartige Identität des Streitgegenstandes ist gegeben, wenn das Rechtsschutzbegehren, das durch den erhobenen prozessualen Anspruch, d.h. den im Rahmen des gestellten Antrags dem Gericht zur Entscheidung vorgetragenen Lebenssachverhalt (vgl. Bundesgerichtshof BGHZ 157, 47), bestimmt wird, gleichgeblieben ist und sich...