Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. zweckwidriges und missbräuchliches Beschreiten des Rechtswegs (hier: Einlegung von über 2.500 Rechtsmitteln innerhalb weniger Wochen). Nichtbearbeitung und schlichtes Austragen von Rechtsschutzbegehren aus dem Prozessregister in Ausnahmefällen. deklaratorische Verfahrenseinstellung durch Beschluss. mündliche Verhandlung. Besetzung
Leitsatz (amtlich)
1. Fehlt es an einem sinnhaften und ernst zu nehmenden Rechtsschutzbegehren kann in Ausnahmefällen (hier: Einlegung von über 2.500 Rechtsmitteln innerhalb weniger Wochen) eine bloße Nichtbearbeitung und schlichtes Austragen in Betracht kommen, wenn ein Begehren zu Unrecht als Klage in das Prozessregister eingetragen worden ist (Anschluss an BSG vom 12.2.2015 - B 10 ÜG 8/14 B = SozR 4-1720 § 198 Nr 8).
2. Die Qualifizierung einer Eingabe als nicht zu bearbeitend setzt eine richterliche Willensentschließung voraus, die, insbesondere wenn dem Kläger rechtliches Gehör gewährt werden soll, auch noch in einer mündlichen Verhandlung möglich ist.
3. Die Entscheidung, dass eine Eingabe nicht weiter zu bearbeiten ist, erfolgt analog den Vorschriften über die deklaratorische Verfahrenseinstellung nach einer Klagerücknahme (§ 102 Abs 3 S 1 SGG, § 92 Abs 3 S 1 VwGO, § 72 Abs 2 S 2 FGO) durch Beschluss.
4. Ergeht die Beschlussfassung aufgrund einer mündlichen Verhandlung, entscheidet der Senat in der Besetzung mit drei Berufs- und zwei ehrenamtlichen Richtern (vgl § 12 Abs 1 S 2 SGG).
Tenor
Das Verfahren wird eingestellt.
Gründe
I.
Der Kläger begehrt die Wiederaufnahme zahlreicher Verfahren über die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch, die beim Landessozialgericht (LSG) und beim Bundessozialgericht (BSG) geführt worden sind (insgesamt 1238 Wiederaufnahmeklagen und -anträge). In zahlreichen Verfahren erhebt er gleichzeitig “nach § 54 SGG Verpflichtungsklage„; für alle Verfahren beantragt er die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes.
Der 1953 geborene Kläger überzieht den Beklagten, das Sozialgericht Konstanz (SG), das LSG und das BSG seit Jahren mit einer Vielzahl von Verfahren, in denen er immer wieder dieselben Streitgegenstände, wie z. B. Friseurkosten, Reisekosten aus unterschiedlichsten Anlässen oder Kostenübernahmen für vielfältigste Bedarfsgegenstände des täglichen Lebens geltend macht. Wurde über ein Begehren rechtskräftig entschieden, setzte der Kläger das Verfahren regelmäßig gegenüber dem Beklagten durch Überprüfungsanträge nach § 44 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) oder gegenüber den Gerichten durch Wiederaufnahmeklagen erneut in Gang. Rechtsmittel legte er weitgehend undifferenziert und ohne Rücksicht auf die Rechtsmittelbelehrungen der angegriffenen Entscheidungen ein.
Im Jahr 2013 hat der Kläger allein beim LSG 428 Verfahren anhängig gemacht. Die erhobenen Nichtzulassungsbeschwerden hat der Senat zunächst als unbegründet zurückgewiesen oder, soweit die Beschwerden nicht statthaft waren, als unzulässig verworfen. Mit Beschlüssen nach § 153 Abs. 4 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) bzw. nach § 158 SGG vom 13.06.2013 hat der erkennende Senat zunächst über 79 Berufungen des Klägers gegen Urteile des Sozialgerichts Konstanz (SG) entschieden, die Berufungen zurückgewiesen bzw. als unzulässig verworfen und dem Kläger jeweils nach § 192 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG Verschuldenskosten in Höhe von 225,00 € auferlegt. Die Beschlüsse des Senats vom 13.06.2013 hat der Kläger erfolglos mit Nichtzulassungsbeschwerden beim BSG angegriffen (B 4 AS 209/13 B fortlaufend bis B 4 AS 287/13 B).
Der Kläger hat sein Prozessverhalten gleichwohl nicht geändert, weitere Berufungen und Nichtzulassungsbeschwerden eingelegt sowie zahlreiche Wiederaufnahmeklagen erhoben. Berufungen und Nichtzulassungsbeschwerden des Klägers hat der erkennende Senat in der Folge (bis auf fünf einzelne, erst im Juni 2015 beim LSG eingegangene Nichtzulassungsbeschwerden) als unzulässig verworfen und in den Gründen jeweils ausgeführt, im Fall des Klägers liege ein zweckwidriges und missbräuchliches Beschreiten des Rechtsweges vor. Es fehle deshalb am Vorliegen eines (allgemeinen) Rechtsschutzbedürfnisses als Sachentscheidungsvoraussetzung für das Verfahren (vgl. beispielhaft Senatsbeschluss vom 14.08.2014 - L 12 AS 3299/13). Die Wiederaufnahmeklagen hat der Senat unter Hinweis auf die Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 24.03.1988 - 5/5b RJ 92/86 - veröffentlicht in Juris) zum Teil an das SG verwiesen und im Übrigen als unzulässig verworfen.
Mit am 03.06.2015 beim LSG eingegangenem Schriftsatz vom 02.06.2013 hat der Kläger “nach § 179 SGG Wiederaufnahme„ von insgesamt 78 Verfahren beantragt. Mit 97 weiteren, in der Zeit bis 14.07.2015 beim LSG eingegangenen Schriftsätzen hat der Kläger insgesamt 1160 weitere Wiederaufnahmeklagen erhoben bzw. Wiederaufnahmeanträge gestellt. Der Kläger führt dabei jeweils eine unterschiedliche Anzahl von Aktenzeichen auf, einzeln oder in Gruppen, zum Teil ü...