Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. medizinische Rehabilitation zur (abstinenzorientierten) Drogentherapie. keine Verdrängung des Anspruchs durch § 58 StVollzG

 

Leitsatz (amtlich)

Der Anspruch eines Strafgefangenen gegen seine gesetzliche Krankenkasse auf eine medizinische Rehabilitationsmaßnahme zur (abstinenzorientierten) Drogentherapie im Rahmen des § 35 Betäubungsmittelgesetz (BtMG, juris: BtMG 1981) wird nicht durch einen Anspruch auf medizinische Versorgung nach § 58 Strafvollzugsgesetz (StVollzG) verdrängt.

 

Tenor

Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Karlsruhe vom 13. Oktober 2022 wird zurückgewiesen.

Die Antragsgegnerin erstattet dem Antragsteller auch dessen außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens.

 

Gründe

1. Die am 24. Oktober 2022 form- und fristgerecht beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegte Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Karlsruhe (SG) vom 13. Oktober 2022 ist gemäß § 172 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft und auch nicht nach § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG ausgeschlossen. Denn die Kosten für die vom Antragsteller begehrte Leistung zur medizinischen Rehabilitation in Form einer stationären Drogenentwöhnung übersteigen nach Schätzung des Senats den maßgeblichen Beschwerdewert von 750,00 € (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG).

2. Die Beschwerde ist nicht begründet.

a) Zu Recht hat das SG die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zur Kostenzusage für eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation in Form einer stationären Drogentherapie verpflichtet. Es hat die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs. 2 SGG korrekt dargelegt und zu Recht bejaht, insbesondere eine hohe Wahrscheinlichkeit der Erfolgsaussichten des Antragstellers in der Hauptsache zugrunde gelegt. Zutreffend hat es ausgeführt, dass der Anspruch gegen die Antragsgegnerin auf die begehrte medizinische Rehabilitationsmaßnahme zur (abstinenzorientierten) Drogentherapie nach Zurückstellung der Strafvollstreckung (i.S. von Ausnahme aus dem Vollzug oder Zurückstellung des Vollzuges, vgl. Bohnen, in: BeckOK BtMG, Stand: September 2022, Vorbemerkung zu §§ 35 bis 38 BtMG Rn. 8) im Rahmen des § 35 Betäubungsmittelgesetz (BtMG) aus §§ 11 Abs. 2, 40 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) entweder auf § 264 Abs. 2, 3 SGB V - bei Sozialhilfebedürftigkeit und entsprechender Leistungsgewährung - oder angesichts der bis Haftantritt bestehenden Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 2a SGB V auf eine Mitgliedschaft nach §§ 5 Abs. 1 Nr. 13, 173 Abs. 1, 175 Abs. 1 Satz 1 SGB V gestützt werden kann und nicht durch einen Anspruch auf medizinische Versorgung nach § 58 Strafvollzugsgesetz (StVollzG) verdrängt wird. Der Senat nimmt daher nach eigener Prüfung auf die zutreffenden Gründe des angefochtenen Beschlusses Bezug (§ 142 Abs. 2 Satz 3 SGG).

b) Ergänzend ist im Hinblick auf die wiederholten und vertiefenden Ausführungen der Antragsgegnerin im Beschwerdeverfahren auszuführen, dass der genannte Leistungsanspruch nach Zurückstellung der Strafvollstreckung nicht nach § 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB V ruht bzw. nicht durch vorrangige Ansprüche auf Gesundheitsfürsorge ausgeschlossen ist (dazu aa) und die Voraussetzungen des § 40 SGB V ausreichend wahrscheinlich vorliegen (dazu bb).

aa) Nach Zurückstellung der Strafvollstreckung im Rahmen des § 35 BtMG ruht der Anspruch aus §§ 11 Abs. 2, 40 SGB V nicht nach § 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB V. Ein vorrangiger Anspruch auf Gesundheitsfürsorge, insbesondere nach §§ 56, 58 StVollzG, besteht nach summarischer Prüfung nicht. Abzustellen ist dabei, da eine Kostenzusage für eine zukünftige Maßnahme begehrt wird, nicht auf den aktuellen Status des Antragstellers als Gefangener i.S.d. StVollzG. Maßgeblich ist vielmehr der Zeitraum, für den die Rehabilitationsmaßnahme begehrt wird, nämlich bei Zurückstellung der Strafvollstreckung nach § 35 BtMG.

Nach § 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB V ruht der Anspruch auf Leistungen, solange Versicherte sich in Untersuchungshaft befinden, nach § 126a Strafprozessordnung (StPO) einstweilen untergebracht sind oder gegen sie eine Freiheitsstrafe oder freiheitsentziehende Maßregel der Besserung und Sicherung vollzogen wird, soweit die Versicherten als Gefangene Anspruch auf Gesundheitsfürsorge nach dem Strafvollzugsgesetz haben oder sonstige Gesundheitsfürsorge erhalten.

Der Senat kann offenlassen, ob die gegen den Antragsteller durch das Urteil des Amtsgerichts W. (AG) vom 22. Februar 2021 verhängte Freiheitsstrafe von zwei Jahren auch während der angestrebten Rehabilitationsmaßnahme im Rahmen des § 35 BtMG gerade auch im Sinne des § 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB V noch „vollzogen“ wird. Denn jedenfalls fehlt es für die Zeit nach Zurückstellung der Strafvollstreckung an einem Anspruch des Antragstellers auf Gesundheitsfürsorge als Gefangener nach dem StVollzG oder sonstige Gesundheitsfürsorge. Entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin ist der Anwendungsberei...

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