Leitsatz (amtlich)
1. Eine Regelungsanordnung iS der Verpflichtung zur vorläufigen Leistung kann auch bei Ablehnung von Arbeitslosengeld II wegen mangelnder Mitwirkung nach § 66 SGB 1 ergehen, da bei Leistungen zum Lebensunterhalt nur so effektiver Rechtsschutz gewährt wird (vgl LSG Berlin-Potsdam vom 22.11.2005 - L 29 B 1212/05 AS ER).
2. Das Vorliegen einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft muss als anspruchsvernichtende Tatsache bewiesen sein; die Behörde trägt hierfür die objektive Beweislast. Auf die für die eheähnliche Lebensgemeinschaft konstituierende Verantwortungs- und Einstandsgemeinschaft (vgl BVerfG vom 17.11.1992 - 1 BvL 8/87 = BVerfGE 87, 234) kann idR nur aus so genannten Indiztatsachen im Rahmen einer Gesamtwürdigung geschlossen werden. An den Nachweis sind erhöhte Anforderungen zu stellen.
Orientierungssatz
Leistete der Arbeitsuchende in den (zeitnahen) Monaten vor der Antragstellung regelmäßige monatliche Zahlungen auf das Konto der Mitbewohnerin, die der Abdeckung des Mietanteils und der Abgeltung von Dienstleistungen im Haushalt dienten, so liegen deutliche Hinweise auf ein getrenntes Wirtschaften in der Wohngemeinschaft vor.
Gründe
Die unter Beachtung der Vorschrift des § 173 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde des Antragstellers, der das Sozialgericht Reutlingen (SG) nicht abgeholfen hat (§ 174 SGG), ist zulässig und begründet.
Gemäß § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit nicht ein Fall des Abs. 1 a.a.O. vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2 a.a.O.).
Vorliegend kommt, da es ersichtlich um die Regelung eines vorläufigen Rechtszustandes geht, nur eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG in Betracht. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt zunächst die Statthaftigkeit und Zulässigkeit des Antrags (vgl. hierzu Keller in Meyer-Ladewig u.a., SGG, 8. Auflage, § 86b Rdnrn. 26ff.; Funke-Kaiser in Bader u.a., Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), 3. Auflage, § 123 Rdnrn. 37 ff.) und des Weiteren auf der Begründetheitsebene die - summarische - Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung (vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) Buchholz 421.21 Hochschulzulassungsrecht Nr. 37; Schoch in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO § 123 Rdnrn. 64, 73 ff., 80 ff.; Puttler in Sodan/Ziekow, VwGO § 123 Rdnrn. 78 ff.). Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung), wobei die diesbezüglichen Anforderungen jedoch umso niedriger sind, je schwerer die mit der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes verbundenen Belastungen - insbesondere auch mit Blick auf ihre Grundrechtsrelevanz - wiegen (vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG) NJW 1997, 479, 480 f.; NJW 2003, 1236 f.; Beschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 - NVwZ 2005, 927 ff.; Puttler in Sodan/Ziekow, a.a.O., Rdnrn. 12, 95, 99 ff.; Funke-Kaiser in Bader u.a., a.a.O., Rdnrn. 15 f., 24 ff.).
Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Das SG hätte dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung stattgeben müssen, da nach der im Verfahren der einstweiligen Anordnung allein möglichen und zulässigen summarischen Prüfung der Sachlage ein Anordnungsanspruch zu bejahen ist.
Der Senat ist auch befugt, diesen Anordnungsanspruch im Wege der einstweiligen Anordnung zu regeln, obwohl die streitige Ablehnungsentscheidung auf § 66 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) gestützt ist, welcher einen eigenständigen Versagungsgrund normiert, der nicht voraussetzt, dass die Anspruchsvoraussetzungen der geltend gemachten und beanspruchten Sozialleistungen zu verneinen sind. Die Rechtmäßigkeit eines auf § 66 SGB I gestützten Bescheides richtet sich allein danach, ob die dort normierten Tatbestandsmerkmale der mangelnden Mitwirkung gegeben sind und zwar unabhängig davon, ob die materiellrechtlichen Voraussetzungen der Leistung vorliegen. Ein Anspruch auf Leistungen wäre in einem solchen Fall in der Hauptsache (noch) nicht direkt durch eine Klage zu erstreiten. Diese wäre vielmehr unzulässig, solange der auf § 66 SGB I gestützte Ablehnungsbescheid Wirksamkeit entfaltet. Vorab müsste erst der Bescheid mit Hilfe einer Anfechtungsklage beseitigt werden (vgl. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 25. Oktober 1988 - 7 Ar 70/87 -, SozR 1200 § 66 Nr. 13). Diese Sperrwirkung des auf § 66 SGB I gestützten Bescheides d...