Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe für Ausländer. Hilfe zum Lebensunterhalt. Leistungsausschluss für dem Grunde nach Leistungsberechtigte nach dem SGB 2. Leistungsausschluss für Ausländer bei Aufenthalt zum Zweck der Arbeitsuche nach § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB 2. Leistungsausschluss nach § 23 Abs 3 S 1 SGB 12. Leistungsgewährung nach § 23 Abs 1 S 3 SGB 12. Aufenthaltsverfestigung. Obdachlosigkeit
Leitsatz (amtlich)
Eine Verfestigung des Aufenthaltsrechts eines EU-Ausländers, die nach der Rechtsprechung des BSG das Ermessen des Sozialhilfeträgers nach § 23 Abs 1 S 3 SGB XII hinsichtlich der Hilfe zum Lebensunterhalt auf Null reduzieren kann, kann auch bei Obdachlosigkeit und laufender Unterbringung in einer städtischen Notübernachtung eintreten.
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Freiburg vom 15. März 2016 abgeändert. Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, der Antragstellerin vorläufig ab dem 1. Mai 2016 bis zum Eintritt der Bestandskraft des Bescheides vom 11. Januar 2016 - längstens bis 30. Juni 2016 - Leistungen der Sozialhilfe nach dem SGB XII in Höhe von monatlich 328,20 € zu gewähren. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Die Antragsgegnerin trägt 1/2 der außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin in beiden Rechtszügen.
Der Antragstellerin wird für das Beschwerdeverfahren ab 12. April 2016 Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlungsanordnung bewilligt und Rechtsanwalt W, F., beigeordnet.
Gründe
1. Die unter Beachtung der Vorschrift des § 173 SGG form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig und in der Sache auch zum Teil begründet. Im Rahmen der vom Senat vorzunehmenden Folgenabwägung sind der Antragstellerin Leistungen der Sozialhilfe in Höhe von 80% des Regelsatzes nach Regelbedarfsstufe 1 nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) Zwölftes Buch (XII) - Sozialhilfe - (SGB XII) für die Zeit vom 1. Mai 2016 bis zum 30. Juni 2016 vorläufig zu gewähren.
2. Gegenstand des Beschwerdeverfahrens bildet das Begehren der Antragstellerin auf vorläufige Gewährung von Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII in Höhe des für sie maßgeblichen Regelsatzes nach der Regelbedarfsstufe 1 (derzeit monatlich 404,00 €) für die Zeit vom 26. Februar 2016 bis zum 30. Juni 2016, nachdem die Antragsgegnerin den entsprechenden Leistungsantrag mit Bescheid vom 11. Januar 2016, der Gegenstand des anhängigen Widerspruchsverfahrens (vgl. Widerspruch der Antragstellerin vom 3. Februar 2016) und damit nicht für die Beteiligten bindend (§ 77 SGG) geworden ist, abgelehnt hat. Nicht geltend gemacht werden von der derzeit obdachlosen Antragstellerin Kosten der Unterkunft und Heizung (vgl. dazu § 35 SGB XII).
3. Das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ist in § 86b SGG geregelt, und zwar für Anfechtungssachen in Abs. 1 a.a.O., für Vornahmesachen in Abs. 2 a.a.O. Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit nicht ein Fall des Abs. 1 a.a.O. vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2 a.a.O.). Die Anträge nach § 86b Abs. 1 und 2 SGG sind bereits vor Klageerhebung zulässig (Abs. 3 a.a.O.).
Vorliegend kommt, wie das SG zutreffend erkannt hat, nur eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG in Betracht. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung hängt auf der Begründetheitsebene vom Vorliegen der Anordnungsvoraussetzungen ab, nämlich dem Anordnungsanspruch und dem Anordnungsgrund, die glaubhaft zu machen sind (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung ≪ZPO≫). Die Prüfung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren kann grundsätzlich nur summarisch erfolgen, es sei denn, das sich aus Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG) ergebende Gebot der Sicherstellung einer menschenwürdigen Existenz sowie der grundrechtlich geschützte Anspruch auf effektiven Rechtsschutz erforderten eine abschließende Überprüfung. Ist in diesen Fällen im Eilverfahren eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage nicht möglich, so ist bei besonders folgenschweren Beeinträchtigungen eine Güter- und Folgenabwägung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange des Antragstellers vorzunehmen (ständige Senatsrechtsprechung; vgl. etwa Beschlüsse vom 13. Oktober 2005 - L 7 SO 3804/05 ER-B - und vom 6. September 2007 - L 7 AS 4008/07 ER-B - beide juris, jeweils unter Verweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ≪BVerfG≫; z.B. BVerfG, Kammerbeschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 - NVwZ 2005, 927; Kammerbeschluss vom 29. November 2007 - 1 BvR 2496/07 - NZS 2008, 365). Maßgebend für die Beurteilung der Anordnungsvora...