Entscheidungsstichwort (Thema)
Bestimmung des Leistungsfalles bei Absinken des quantitativen Restleistungsvermögens von unter sechs Stunden auf unter drei Stunden täglich. Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarktes. Erfüllung der besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen. gesetzliche Legitimität des Rechtsinstituts der Arbeitsmarktrente
Leitsatz (amtlich)
1. Der Leistungsfall der vollen Erwerbsminderung iSv § 43 Abs 2 SGB 6 kann auch aus Gründen erfüllt werden, die nicht ausschließlich auf dem Gesundheitszustand des Versicherten beruhen, wie der Verschlossenheit des Arbeitsmarktes bei einem Absinken des zeitlichen Leistungsvermögens auf unter sechs Stunden täglich. Er tritt dann nicht nochmals durch weiteres Absinken des Leistungsvermögens auf unter drei Stunden täglich ein (im Anschluss an BSG vom 29.11.1990 - 5/4a RJ 41/87).
2. Das von der Rechtsprechung entwickelte Rechtsinstitut der Arbeitsmarktrente ist durch den Gesetzgeber hinreichend legitimiert.
Orientierungssatz
Zum Leitsatz 1: Anschluss an SG Freiburg vom 13.3.2014 - S 19 R 3503/12 sowie LSG Berlin-Potsdam vom 10.6.2010 - L 21 R 1203/07.
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 13. März 2014 wird zurückgewiesen.
Gründe
I.
Zwischen den Beteiligten streitig ist im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsfähigkeit ab November 2010.
Die 1954 geborene Klägerin ist kroatische Staatsangehörige und am 15.08.1973 aus Kroatien nach Deutschland zugezogen. Sie ist Mutter zweier Kinder (geboren am 22.12.1974 und 07.05.1977), hat keinen Beruf erlernt und war zuletzt bis Oktober 2004 als Küchenhilfe beschäftigt; nach dem Kontospiegel der Beklagten liegen Pflichtbeitragszeiten wegen versicherungspflichtiger Beschäftigung zuletzt für die Zeit vom 09.10.1990 bis 19.10.1994 vor. Das Arbeitsverhältnis endete nach eigenen Angaben der Klägerin durch Kündigung des Arbeitgebers, nachdem sie schon zuvor vier Jahre lang krank geschrieben gewesen sei. Nach Verlust dieses Arbeitsplatzes war die Klägerin nicht mehr erwerbstätig. Seit dem 09.03.2006 bezieht sie durchgängig Arbeitslosengeld II (Alg II).
Am 03.01.2007 beantragte die Klägerin (erneut) die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung und machte geltend, seit 1993 wegen Wirbelsäulenschäden, Herz-, Kreislaufproblemen, Bluthochdruck, Arthrose in den Händen und Knien, einer kranken linken Niere, einer Schwerhörigkeit rechts und eines Tinnitus links erwerbsgemindert zu sein. Hierzu legte sie u. a. den Bescheid des Versorgungsamtes Freiburg vom 13.01.1994 vor, wonach ein Grad der Behinderung von 30 seit 22.11.1993 wegen eines chronischen Nervenwurzelreizsyndroms am linken Bein bei einem Bandscheibenvorfall der Lendenwirbelsäule festgestellt worden war.
In einem vor dem Sozialgericht Freiburg (SG) geführten Klageverfahren (S 2 J 1895/95) hatte sich die Klägerin zuvor bereits mit Klage vom 04.09.1995 gegen eine Entscheidung der Beklagten gewandt, mit der diese ihren Antrag vom 20.10.1994 auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbs- bzw. Berufsunfähigkeit abgelehnt hatte (Bescheid vom 28.11.1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.08.1995 - die Akten der Beklagten sind bereits vernichtet). In der Akte des SG (S 2 J 1895/95) liegt der ärztliche Entlassungsbericht über eine Rehabilitationsmaßnahme in den S.-Kliniken Bad W. (stationärer Aufenthalt vom 06.09.1994 bis 19.10.1994) mit den Diagnosen: persistierendes Wurzelreizsyndrom S1 links bei sequestriertem Prolaps L5/S1 mit Wurzelkompression S1, Insuffizienz der rumpfstabilisierenden Muskulatur, Bursitis subarchillea rechts mit einer Leistungseinschränkung für leichte Arbeiten im Wechselrhythmus auf unter zwei Stunden täglich vor. Das SG hatte in diesem Verfahren zunächst die behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen gehört. Der Radiologe Dr. F. hatte unter dem 31.08.1994 über ein Computertomogramm der unteren LWS-Bandscheiben berichtet, welches neben einem engen Spinalkanal keinen sicheren Bandscheibenvorfall mehr gezeigt habe, weshalb er von einer Befundbesserung gegenüber den Voraufnahmen ausgegangen war. Der Orthopäde Dr. K. hatte ausgeführt, die Klägerin bis 28.06.1995 behandelt zu haben. Nach dem Heilverfahren in Bad W. habe sich keine Beschwerdelinderung eingestellt. Eine geplante fachneurologische Kontrolluntersuchung habe die Klägerin nicht wahrgenommen. Der Orthopäde Dr. Dr. S. hatte in seinen Berichten starke Lendenwirbelsäulenbeschwerden und zusätzliche Beschwerden von Seiten der Halswirbelsäule sowie vom linken Handgelenk her beschrieben. Die Extremitäten seien frei gewesen, es seien Druck- und Klopfschmerzen lumbosacral, ein sensibles Defizit im Dermatom S1, ein unauffälliges Gangbild, im Liegen aber eine spastische Spitz- und Hohlfußstellung links, welche passiv auch unter stärkster Kraftanwendung nicht korrigiert werden konnte, festzustellen gewesen. Paresen seien nicht aufgetreten. Er habe ergänzende Untersuchungen beim Neurologen und Psychiater Dr. S. veranlass...