Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Sachverständigenvergütung. Gutachten. Ermittlung des objektiv erforderlichen Zeitaufwands. Modifikation der bei Routinegutachten heranzuziehenden Erfahrungswerte für die Aktendurchsicht sowie die Beurteilung und Beantwortung der Beweisfragen. Plausibilitätsprüfung. inhaltliche Prüfung
Leitsatz (amtlich)
1. Der Senat hält an seiner Rechtsprechung zur Plausibilitätsprüfung der Vergütungsabrechnung von Sachverständigen (grundlegend Beschlüsse vom 22.9.2004 - L 12 RJ 3686/04 KO-A = MedR 2006, 118 und vom 5.4.2005 - L 12 SB 795/05 KO-A) grundsätzlich fest, modifiziert allerdings die für die Prüfung des erforderlichen Zeitaufwands bei "Routinegutachten" heranzuziehenden Erfahrungswerte für die Aktendurchsicht sowie für die Beurteilung und Beantwortung der Beweisfragen.
2. Für die Durchsicht der Akten einschließlich Diktat des für das Gutachten erforderlichen Akteninhalts ist für bis zu 150 Aktenseiten mit bis zu 50% gutachtensrelevantem Anteil 1 Stunde anzusetzen.
3. Für die Beurteilung und Beantwortung der Beweisfragen ist von 1 Stunde für 1,5 Standardseiten auszugehen.
4. Der Senat hält auch daran fest, dass neben der Plausibilitätsprüfung ggfs - insbesondere vor einer Kürzung des geltend gemachten Zeitaufwands - eine inhaltliche Prüfung zu erfolgen hat.
Tenor
Die Vergütung der Antragstellerin für das Gutachten vom 17.12.2011 wird auf 1.649,25 € festgesetzt.
Gründe
I.
In dem beim Sozialgericht (SG) H. anhängig gewesenen Klageverfahren S 5 U 4190/10 ging es um die Anerkennung einer Berufskrankheit des Klägers. Das SG ernannte im Zuge der medizinischen Beweisaufnahme mit Schreiben vom 21.09.2011 die Antragstellerin auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zur Sachverständigen und bat um Erstattung eines schriftlichen Gutachtens nach ambulanter Untersuchung. Beigefügt waren 399 Blatt Akten. Die Antragstellerin legte das schriftliche Gutachten vom 17.12.2011 vor. Das Gutachten umfasst 42 Seiten, davon 13 Seiten Wiedergabe des Akteninhalts (S. 3 bis 16), 11,5 Seiten Anamnese und Befunde einschließlich psychometrische Testverfahren (S. 16 bis 28), und 12,5 Seiten Zusammenfassung und Beurteilung sowie Beantwortung der Beweisfragen (S. 28 bis 40). Die Zahl der Anschläge beträgt insgesamt 52.759.
Mit Schreiben vom 23.01.2012 hat die Antragstellerin dafür insgesamt 2.228,30 € abgerechnet. Sie hat dabei einen Zeitaufwand von 25 Stunden á 85,-- € angesetzt, im einzelnen: Aktenstudium 4 Stunden, Erhebung der Vorgeschichte und körperliche Untersuchung 4 Stunden, testpsychologische Untersuchung (6 Tests) 3 Stunden, Ausarbeitung 7 Stunden, Diktat und Korrektur 7 Stunden. Dazu kommen 6,90 € für Porto und 96,40 € Schreibgebühren.
Die Kostenbeamtin hat anstelle des geltend gemachten Betrages die Vergütung mit insgesamt 1.521,75 € festgestellt (Schreiben vom 30.01.2012). Sie hat einen Zeitaufwand von 15,5 Stunden á 85,-- € zugrundgelegt, einen Zuschlag von 10 % hinzugerechnet und ist so auf 17 zu vergütende Stunden gekommen (= 17 x 85,-- € = 1.445,-- €). Ferner hat sie für Porto 6,90 € und für Schreibgebühren und Mehrfertigungen 69,85 € angesetzt.
Die Antragstellerin hat richterliche Festsetzung beantragt. Sie hat sich auf die Rechtsprechung des Bayerischen Landessozialgerichts (LSG) berufen. Demnach seien die Maßstäbe beim Aktenstudium eine Stunde für 100 Blatt, bei der Ausarbeitung des Gutachtens eine Stunde für sechs Seiten und bei Diktat und Korrektur ebenfalls eine Stunde für sechs Seiten, sodass für ihr 42-seitiges Gutachten jeweils 7 Stunden zu vergüten seien. Dem Bayerischen LSG zufolge könnten für jede testpsychologische Untersuchung 0,5 Stunden angesetzt werden.
Der Bezirksrevisor hat mit Schreiben vom 27.03.2012 einen zu vergütenden Zeitaufwand von insgesamt 19 Stunden angenommen. Nach Plausibilitätsprüfung komme man zwar lediglich auf 13,5 Stunden. Nach der inhaltlichen Prüfung könnten indessen für das Aktenstudium 4 Stunden und für die Beurteilung und Beantwortung der Beweisfragen sechs Stunden anerkannt werden. Hinzu kämen für Diktat von Anamnese und Befunden eine Stunde, für die Untersuchung und die testpsychologischen Untersuchungen sechs Stunden (es seien acht testpsychologische Untersuchungen in der Rechnung angegeben, für die jeweils 15 Minuten vergütet werden könnten) und für die abschließende Korrektur und Durchsicht 1,6 Stunden.
Das SG hat durch Beschluss vom 27.09.2012 die Vergütung der Antragstellerin auf 1.394,25 € festgesetzt. In Übereinstimmung mit der Kostenbeamtin hat es einen zu vergütenden Zeitaufwand von 15,5 Stunden angenommen. Ein Zuschlag von 10 % komme nicht in Betracht. Aus dem Gutachten selbst und unter Berücksichtigung des tatsächlichen Zeitaufwands ergäben sich keine Gründe für eine Erhöhung. Die Antragstellerin habe auch ihren tatsächlichen Zeitaufwand gar nicht angegeben, sondern lediglich eine Berechnung nach den Entschädigungsgrundsätzen des Bayerischen LSG vorgenommen, ohne eine weitere Begründung zu geben.
Gegen diese...