Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Versäumung der Berufungsfrist. Verschulden. abgeschalteter Telefonanschluss

 

Leitsatz (amtlich)

Ein prozessführender Bürger, der ausschließlich die Benutzung eines Telefaxgerätes als adäquates Mittel ansieht, um eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten, handelt im Hinblick auf die von ihm einzuhaltenden Fristen fahrlässig, wenn er weiß, dass die technischen Voraussetzungen hierfür nicht erfüllt sind (hier: abgeschalteter Telefonanschluss) und nicht andere ihm zumutbare und zugängliche Kommunikationsmittel nutzt.

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 07.09.2012 wird als unzulässig verworfen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

 

Gründe

I.

Zwischen den Beteiligten ist sowohl die Höhe als auch der Beginn von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) streitig.

Der 1969 geborene Kläger übt eine selbstständige Tätigkeit (nach eigenen Angaben: “Angebot und Vermarktung von Dienstleistungen und Produkten sowie Rechtsberatung„) aus und bezieht seit September 2010 SGB-II-Leistungen, zuletzt bewilligt durch Bescheid vom 27.10.2011 (Bewilligungszeitraum vom 01.04. bis 30.09.2011; monatlicher Gesamtbetrag im September 2011 588,50 € - ohne Anrechnung von Einkommen aus seiner selbstständigen Tätigkeit). Zur Vermeidung von Obdachlosigkeit wurde er am 01.09.2011 durch die Stadt G. in eine neue Wohnung eingewiesen (Schreiben der Stadtkasse G. vom 18.11.2011).

Am 04.11.2011 ging bei dem Beklagten die Erklärung zum Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit (Anlage EKS) ein. Der Beklagte wertete dies als neuen Leistungsantrag und bat den Kläger, einen vollständigen Weiterbewilligungsantrag vorzulegen, den dieser am 25.11.2011 einreichte. Mit Bescheid vom 30.11.2011 bewilligte der Beklagte dem Kläger SGB-II-Leistungen vom 01.11. bis 31.12.2011 in Höhe von insgesamt 588,50 € (Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von 364,-- €; Kosten für Unterkunft und Heizung ≪ KdU ≫ in Höhe von 224,50 €) und vom 01.01. bis 30.04.2012 in Höhe von insgesamt 598,50 € (Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe 374,--; KdU in Höhe von 224,50 €). Hiergegen legte der Kläger am 27.12.2011 Widerspruch ein und trug zur Begründung im Wesentlichen vor, aufgrund des Zwangsumzuges sei er nicht dazu gekommen, rechtzeitig einen Weiterbewilligungsantrag zu stellen, weshalb er beantrage, bereits Leistungen ab dem 01.09.2011 zu erhalten. Mit Widerspruchsbescheid vom 29.12.2011 wies der Beklagte den Widerspruch zurück und führte aus, Leistungen nach dem SGB II würde nicht vor Antragstellung erbracht. Der Antrag wirke lediglich auf den Ersten des Monats zurück. Bis zum 30.09.2011 habe der Kläger Arbeitslosengeld II bezogen. Die Anlage EKS sei erst am 04.11.2011 eingegangen, sodass Arbeitslosengeld II erst ab dem 01.11.2011 habe bewilligt werden können.

Am 30.12.2011 machte der Kläger mit einem weiteren Widerspruch zusätzlich geltend, die Höhe der bewilligten Leistungen sei verfassungswidrig. Diesen Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 06.02.2012 als unzulässig zurück, da in der Sache bereits ein entsprechender Widerspruchsbescheid ergangen sei. Er wertete das Schreiben aber als Überprüfungsantrag gemäß § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X). Über diesen Antrag entschied der Beklagte mit Bescheid vom 07.02.2012 und erließ den Änderungsbescheid vom gleichen Tag, mit dem er dem Kläger SGB-II-Leistungen vom 01.11. bis 31.12.2011 in Höhe von 611,36 € und vom 01.01. bis 30.04.2012 in Höhe von 621,36 € unter Zugrundelegung von KdU in Höhe von 247,36 € gewährte.

Gegen den Widerspruchsbescheid vom 29.12.2011 (Beginn der Leistung) hat der Kläger am 28.01.2012 Klage beim Sozialgericht Ulm (SG) erhoben (Az.: S 2 AS 385/12) und vorgetragen, ihm stünden bereits ab dem 01.10.2011 SGB-II-Leistungen zu. Die gegen die Höhe der bewilligten SGB-II-Leistungen am 24.02.2012 beim SG erhobene Klage (S 2 AS 644/12) hat der Kläger im Termin zur mündlichen Verhandlung am 07.09.2012 zurückgenommen, nachdem das SG den Kläger darüber informiert hatte, dass der Bescheid vom 07.02.2012 bereits Gegenstand des Verfahrens S 2 AS 385/12 geworden sei. Mit Urteil vom 07.09.2012 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, weder der Beginn der gewährten Leistungen noch deren Höhe sei zu beanstanden. Gemäß § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB II würden Leistungen nicht für Zeiten vor der Antragstellung erbracht. Der Antrag wirke lediglich auf den Ersten des Monats zurück. Da der Kläger am 04.11.2011 einen Fortzahlungsantrag gestellt habe, habe der Beklagte zu Recht Leistungen erst ab dem 01.11.2011 gewährt. Der Vortrag des Klägers, er habe aufgrund einer Zwangsräumung nicht schon früher einen Fortzahlungsantrag stellen können, sei rechtlich unerheblich, da es nach Sinn und Zweck des § 37 Abs. 2 SGB II nicht möglich sei, Wiedereinsetzung in den vorigen...

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