Entscheidungsstichwort (Thema)
Einstweiliger Rechtsschutz. Schriftform der Beschwerde. fehlende Unterschrift. Grundsicherung für Arbeitsuchende. Bedarfsgemeinschaft. Einstehens- und Verantwortungsgemeinschaft. keine Widerlegung der Vermutungsregelung. ungeklärte Einkommensverhältnisse. Beschränkung auf Sachleistungen im Rahmen des freien Ermessens
Leitsatz (amtlich)
1. Dem Schrifterfordernis des § 173 SGG ist auch dann genügt, wenn sich trotz Fehlens der Unterschrift aus anderen Umständen Authentizität und Prozessführungswille ergeben (hier Ankündigungsschreiben und Beifügen einer unterschriebenen Originalvollmacht).
2. Die Existenz einer Einstehens- und Verantwortungsgemeinschaft iS des § 7 Abs 3 Nr 3 Buchst c SGB 2 ist nach objektiven Gesichtspunkten zu beurteilen; eine bloße Wohn- oder Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft genügt nicht. Hinsichtlich der Kriterien für ihr Vorliegen ist auf die zur eheähnlichen Gemeinschaft entwickelten Maßstäbe zurückzugreifen. Ist einer der Vermutungstatbestände des § 7 Abs 3a SGB 2 erfüllt, trifft den Anspruchsteller die Darlegungslast, dass der entsprechende Sachverhalt nicht vorliegt. Für eine Widerlegung der Vermutung genügen unsubstantiierte Behauptungen der Partner nicht, insbesondere wenn sie widersprüchlich sind oder in Gegensatz zu früheren Angaben stehen.
3. Sind die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Partners (noch) nicht bekannt, ist im Rahmen der beim Erlass einer einstweiligen Anordnung anzustellenden Ermessenserwägungen auch die Verpflichtung zur Gewährung von Lebensmittelgutscheinen möglich.
Orientierungssatz
Mit der Einführung des § 7 Abs 3 Nr 3 Buchst c, Abs 3a SGB 2 idF vom 20.7.2006 sind bei Vorliegen der Voraussetzungen nicht mehr allein die Partner einer eheähnlichen Gemeinschaft, dh einer Lebensgemeinschaft zwischen Frau und Mann, in die Bedarfsgemeinschaft einbezogen, sondern auch die gleichgeschlechtlichen Partner einer nicht eingetragenen Lebensgemeinschaft.
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Mannheim vom 12. September 2007 abgeändert. Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig sowie unter dem Vorbehalt der Rückforderung ab Zustellung dieses Beschlusses bis längstens zum 31. Dezember 2007 Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende in Form von Lebensmittelgutscheinen zu gewähren.
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller ein Fünftel seiner außergerichtlichen Kosten in beiden Rechtszügen zu erstatten.
Gründe
Die unter Beachtung der Vorschriften der §§ 172, 173 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) eingelegte Beschwerde des Antragstellers gegen den seinen damaligen Bevollmächtigten am 21. September 2007 zugestellten Beschluss vom 12. September 2007, welcher das Sozialgericht (SG) Mannheim nicht abgeholfen hat (§ 174 SGG), ist zulässig. Zwar ist die am 22. Oktober 2007 (Montag) beim SG Mannheim eingelegte Beschwerdeschrift nicht unterschrieben. Trotz fehlender Unterschriftsleistung bestehen jedoch nach den konkreten Umständen des vorliegenden Falls keine vernünftigen Zweifel daran, dass dieser bestimmende Schriftsatz mit Wissen und Wollen der jetzigen Prozessbevollmächtigten des Antragstellers dem SG zugeleitet worden ist und nicht bloß einen Entwurf dargestellt hat (vgl. hierzu Bundesverwaltungsgericht ≪BVerwG≫ BVerwGE 81, 32; Meyer-Ladewig in Meyer-Ladewig u.a., SGG, 8. Auflage, § 151 Rdnrn. 5 bis 5b ≪jeweils m.w.N.). Denn der Beschwerdeschrift war die der Prozessbevollmächtigten erteilte, vom Antragsteller am 9. Oktober 2007 unterzeichnete Original-Prozessvollmacht beigeheftet; die Bevollmächtigte hatte zudem ihre Beauftragung zur Interessenwahrnehmung sowie zur Prüfung der Erfolgsaussichten einer Beschwerde dem SG bereits mit Fax vom 11. Oktober 2007 - ebenfalls unter Beifügung der Vollmacht - mitgeteilt. Die Urheberschaft der Rechtsanwältin sowie ihr Wille, den Anwaltsschriftsatz in den Verkehr zu bringen, begegnen sonach keinen Bedenken. Das Formerfordernis des § 173 Satz 1 1. Halbs. SGG ist mithin trotz der unterbliebenen Unterzeichnung der Beschwerdeschrift ausnahmsweise gewahrt. Die Beschwerde des Antragstellers ist jedoch lediglich in dem sich aus dem Tenor ergebenden Umfang begründet, im Übrigen jedoch nicht begründet.
Gemäß § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit nicht ein Fall des Abs. 1 a.a.O. vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2 a.a.O.).
Vorliegend kommt - wie das SG zutreffend erkannt hat - nur eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG in Betracht....