Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Bedarfsgemeinschaft. eheähnliche Gemeinschaft. keine Berücksichtigung des Einkommens des Partners zugunsten der nicht leiblichen Kinder. verfassungskonforme Auslegung. Berücksichtigung des Einkommens des Partners einer eheähnlichen Gemeinschaft, wenn der Partner eigenen Kindern unterhaltspflichtig ist
Leitsatz (amtlich)
1. Allein der Umstand, dass sich bei der in § 7 Abs 3 Nr 3 Buchst c iVm Abs 3a SGB 2 vorgesehenen Prüfung ein Wille der Partner einer eheähnlichen Gemeinschaft ergibt, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, lässt - jedenfalls - nicht ausnahmslos den Schluss zu, dass dieser Wille auch die Kinder des Partners umfasst.
2. Im Falle einer zwingenden Anrechnung von Einkommen und Vermögen des Partners des Elternteils lässt sich daher nicht mit der nötigen Sicherheit ausschließen, dass einem Kind ausreichende Leistungen zur Sicherung seines Existenzminimums weder vom Partner des Elternteils noch von Seiten des Leistungsträgers gewährt werden.
3. Zur Sicherstellung der grundgesetzlichen Gewährleistung des materiellen Existenzminimums ist es daher im Wege verfassungskonformer Auslegung des § 9 Abs 2 S 2 SGB 2 erforderlich, vor einer Einkommens- und Vermögensanrechnung jedenfalls die in § 7 Abs 3 Nr 3 Buchst c iVm Abs 3a SGB 2 vorgesehene Prüfung (auch) im Verhältnis zwischen dem Partner des Elternteils und jedem einzelnen Kind gesondert durchzuführen.
Normenkette
SGB II § 7 Abs. 3 Nr. 3 Buchst. c, Abs. 3a, § 9 Abs. 2 S. 2; SGG § 86 b Abs. 2 S. 4; ZPO § 920
Tenor
Die Beschwerde der Antragsgegnerin wird zurückgewiesen.
Die Antragsgegnerin hat den Antragstellern die außergerichtlichen Kosten auch des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.
Gründe
Die Beschwerde der Antragsgegnerin ist zulässig, jedoch nicht begründet. Im Ergebnis zu Recht hat das Sozialgericht die Antragsgegnerin mit Beschluss vom 20.03.2007 im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig verpflichtet, den Antragstellern näher bezifferte Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit vom 12.03. bis zum 30.06.2007 zu gewähren.
Nach § 86b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Satz 1; sog. Sicherungsanordnung). Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2; sog. Regelungsanordnung).
Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist dabei nach § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 ZPO sowohl für die Sicherungsanordnung als auch für die Regelungsanordnung, dass der Antragsteller die Gefährdung eines eigenen Individualinteresses (Anordnungsgrund) und das Bestehen eines Rechts (Anordnungsanspruch) glaubhaft macht. Außerdem darf eine stattgebende Entscheidung die Hauptsache grundsätzlich nicht - auch nicht zeitlich befristet - vorwegnehmen, es sei denn, dass dies zur Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes unerlässlich ist.
In Anwendung dieser Grundsätze sind die Voraussetzungen für den Erlass einer Regelungsanordnung erfüllt. Denn den Antragstellern steht mit einer für die erstrebte teilweise Vorwegnahme der Hauptsache erforderlichen Wahrscheinlichkeit sowohl ein Anordnungsgrund als auch ein Anordnungsanspruch zur Seite.
Zum einen droht den Antragstellern angesichts der ihnen nicht (mehr) zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel aus der im Oktober 2006 erfolgten Steuerrückerstattung und des nach ihren glaubhaften Angaben bereits überzogenen Kontokorrentkreditlimits des Antragstellers Ziff. 2 eine Unterschreitung des verfassungsrechtlich gewährleisteten materiellen Existenzminimums. Eine Verletzung dieser grundgesetzlichen Gewährleistung, auch wenn sie nur möglich erscheint oder nur zeitweilig andauert, haben die Gerichte zu verhindern (BVerfG, 1. Senat 3. Kammer, Beschluss vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05 -, NVwZ 2005, 927 ff. = Breith. 2005, 803 ff. = info also 2005, 166 ff.).
Zum anderen ist auch das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs der Antragsteller hinreichend glaubhaft gemacht.
Anders als die Antragsgegnerin meint, scheidet zunächst eine Anrechnung der oben genannten Steuerrückerstattung als Einkommen des Antragstellers Ziff. 2 bereits deshalb aus, weil der in Rede stehende Betrag i. H. v. € 1.430,10 nicht nur im Oktober 2006 und mithin mehr als zwei Monate vor Beginn des Bewilligungszeitraums (vom 01.01. bis zum 30.06.2007) ausbezahlt, sondern nach den glaubhaften Angaben der Antragsteller - zur Tilgung fälliger Schulden - zugleich auch verbraucht worden ist. Demgemäß standen den Antragstellern diese Geldmittel während des Bewilligungszeitraums und insbesondere dem hier streitigen Zeitraum ab dem 12.03.2007...