Entscheidungsstichwort (Thema)
Aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Klage
Leitsatz (amtlich)
1. Die Wirkung der gerichtlich angeordneten aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs tritt rückwirkend ab Erlass des mit dem Widerspruch angefochtenen Bescheides ein und endet in den Fällen, in denen Klage erhoben wird, erst mit Eintritt der Unanfechtbarkeit der Hauptsacheentscheidung.
2. Nach § 39 Nr 1 SGB 2 haben Widerspruch und Klage gegen einen Verwaltungsakt, der über Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende entscheidet, keine aufschiebende Wirkung. Da Widerspruch und Klage nur aufschiebende Wirkung besitzen können, wenn Entscheidungen der Leistungsträger mit bloßen Anfechtungsbegehren angegangen werden, werden von dieser Vorschrift lediglich Aufhebungsentscheidungen nach den §§ 45ff SGB 10 iVm § 40 SGB 2 und Entscheidungen über die Absenkung und den Wegfall von bereits bewilligtem Arbeitslosengeld II oder Sozialgeld gemäß den §§ 31, 32 SGB 2 erfasst.
3. Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs aufgrund von § 86b Abs 1 S 1 Nr 2 SGG ist anhand einer Interessenabwägung zu beurteilen. Die öffentlichen Interessen an der Aussetzung der Vollziehung sind gegeneinander abzuwägen.
4. Die konkreten gegeneinander abzuwägenden Interessen ergeben sich in der Regel aus den konkreten Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens, dem konkreten Vollziehungsinteresse und der für die Dauer einer möglichen aufschiebenden Wirkung drohenden Rechtsbeeinträchtigung. Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens sind die vom BVerfG zur einstweiligen Anordnung entwickelten Grundsätze anzuwenden. Danach sind die Folgen, die eintreten würden, wenn die Eilentscheidung zu Gunsten des Antragstellers nicht erginge, die Klage später aber Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abzuwägen, die entstünden, wenn die begehrte Eilentscheidung erlassen würde, der Klage aber der Erfolg zu versagen wäre (ständige Rechtsprechung des BVerfG; vergleiche BVerfG vom 25.7.2003 - 2 BvR 1198/03 = NJW 2003, 2598, 2599 mwN).
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Heilbronn vom 12. Dezember 2005 abgeändert und die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 11. Oktober 2005 angeordnet, soweit darin der Antragsteller zur Erstattung von 799,- € verpflichtet wird. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Von den außergerichtlichen Kosten des Antragstellers im Antrags- und Beschwerdeverfahren trägt die Antragsgegnerin die Hälfte.
Tatbestand
Mit Bescheid vom 11.10.2005 hob die Antragsgegnerin eine frühere Entscheidung über die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch - Zweites Buch - (SGB II) für die Zeit ab 01.01.2005 auf und forderte vom Antragsteller die für Januar 2005 bereits erbrachten Leistungen in Höhe von 799,00 € zurück. Der Antragsteller erstrebt nun die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines gegen diesen Bescheid eingelegten Widerspruchs.
Der 2005 geborene, ledige Antragsteller - von Beruf Grafikdesigner - bezog zuletzt bis 05.07.2003 Arbeitslosengeld. Er ist als Schwerbehinderter mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 100 anerkannt. Am 22.12.2004 beantragte er Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II. Im Antragsformular mit der Überschrift “Zusatzblatt 3 zur Feststellung des zu berücksichtigenden Vermögens" machte er auch Angaben zu den drei Lebensversicherungen, die er bei zwei Versicherungsgesellschaften abgeschlossen hatte. Bei allen drei Versicherungen gab er mit Stand Juli 2003 den Auszahlungsbetrag bei Rückkauf an und bei zwei Versicherungen machte er auch Angaben zu den bisher eingezahlten Beiträgen und zur Höhe der Versicherungssumme. Mit Schreiben vom 27.12.2004 teilte die Antragsgegnerin dem Antragsteller mit, über seinen Antrag könne noch nicht entschieden werden, weil noch Unterlagen fehlten. Wörtlich hieß es in dem Schreiben: “Bitte schicken Sie uns eine Kopie ihrer Lebensversicherung mit aktuellem Rückkaufswert. Bitte reichen Sie uns die noch erforderlichen Unterlagen bis zum 31.12.2004 nach. Bitte schicken Sie die Unterlagen mit der Post." Der Antragsteller kam dieser Aufforderung mit Schreiben vom 30.12.2004 nach. Er legte Mitteilungen der D Versicherungen und der Schweizerischen Rentenanstalt Swiss Life vor, nach denen sich die Rückkaufswerte der zwei Lebensversicherungen einschließlich Überschussguthaben bei der D zum 01.01.2005 auf 7.164,19 € bzw. 16.085,47 € und der Rückkaufswert der Lebensversicherung bei der schweizerischen Rentenanstalt S einschließlich Überschussguthaben und Schlussdividenden zum 31.12.2004 auf 16.507,62 € beliefen. Anschließend bewilligte die Antragsgegnerin dem Antragsteller mit Bescheid vom 18.01.2005 für die Zeit vom 01.01.2005 bis 31.03.2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von monatlich 799,00 €. In dem Bescheid wurde der Antragsteller aufgefordert, komplett für alle drei Lebensversicherungen den bisher einbezahlten Betrag vorz...