Entscheidungsstichwort (Thema)
Absenkung des Arbeitslosengeld II. Nichtabschluss Eingliederungsvereinbarung. Anforderungen an die Eingliederungsvereinbarung. Bestimmtheitsgebot und Konkretisierungspflicht. unverhältnismäßige Sanktion nach Heranziehung durch Verwaltungsakt. wiederholte Pflichtverletzung. Rechtsfolgenbelehrung
Leitsatz (amtlich)
1. Eine Absenkung des Arbeitslosengeldes II nach § 31 Abs 1 S 1 Nr 1 Buchst a SGB 2 setzt voraus, dass die angebotene Eingliederungsvereinbarung den Voraussetzungen von § 15 SGB 2 entspricht.
2. Die Eingliederungsvereinbarung muss festlegen, welche der in § 16 SGB 2 aufgeführten Leistungen der Erwerbsfähige zur Eingliederung erhält sowie welche Eigenbemühungen in welcher Intensität und Quantität dem Hilfebedürftigen obliegen und in welcher Form er die Eigenbemühungen nachweisen muss.
3. Ebenso wie die Eigenbemühungen des Hilfebedürftigen zu konkretisieren sind, sind auch die Leistungen zur Eingliederung verbindlich und konkret zu bezeichnen.
4. Als vereinbarungsfähige Leistungen zur Eingliederung kommen nur solche in Betracht, die im Ermessen des Leistungsträgers stehen, auf die also kein Rechtsanspruch besteht.
5. Verhaltenspflichten des Hilfeempfängers sind vereinbarungsfähig, wenn sie einen Bezug zum Ziel der Eingliederung in Arbeit haben und es bei ihrer Weigerung zur Erfüllung gerechtfertigt ist, die Leistung abzusenken.
6. Kommt eine Eingliederungsvereinbarung nicht zustande und erlässt der Träger deshalb einen Eingliederungsbescheid nach § 15 Abs 1 S 6 SGB 2, ist der im Wesentlichen gleiche Zweck wie eine Eingliederungsvereinbarung erreicht; eine Absenkung wegen Weigerung zum Abschluss einer Eingliederungsvereinbarung kann danach nicht mehr verfügt werden. Dies gilt auch dann, wenn der nicht für sofort vollziehbar erklärte Eingliederungsbescheid mit dem Widerspruch angefochten ist, welcher aufschiebende Wirkung nach § 86a Abs 1 SGG hat.
7. Bei wiederholter Pflichtverletzung und Absenkung der Regelleistung um mehr als 30 vH muss für die Zeit bis 31.12.2006 in der Rechtsfolgenbelehrung auch auf die Rechtsfolgen des § 31 Abs 3 S 2 und 3 SGB 2 hingewiesen werden.
Tenor
Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Ulm vom 4. August 2006 wird zurückgewiesen.
Der Antragsgegner hat dem Antragsteller seine außergerichtlichen Kosten auch für das Beschwerdeverfahren zu erstatten.
Gründe
Die Beschwerde ist zulässig, sachlich aber nicht begründet.
Im Ergebnis zu Recht hat das Sozialgericht dem Antrag des Antragstellers entsprochen und die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs wegen der im Bescheid des Antragsgegners vom 29. Juni 2006 für die Zeit vom 1. August bis 30. September verfügten Absenkung der Regelleistung um 50 v. H. einschließlich Wegfall des Zuschlags nach § 24 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II) angeordnet. Zu Recht hat das Sozialgericht den Antragsgegner, von diesem insoweit auch nicht im Einzelnen beanstandet, ferner verpflichtet, dem Antragsteller die ab 1. August 2006 bewilligten Leistungen ohne Absenkung auszuzahlen.
Zutreffend hat das Sozialgericht das Begehren als nach § 86 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthaft und zulässig angesehen. Denn der Widerspruch des Antragstellers wegen der Absenkung der Regelleistung sowie des Zuschlags nach § 24 SGB II, welche mit Bescheid vom 28. September 2005 für die Zeit von Oktober 2005 bis September 2006 in Höhe von 345 € monatlich einschließlich von zuletzt 8 € monatlicher Zuschlag nach § 24 SGB II bewilligt war, hat abweichend von § 86 a Abs. 1 SGG keine aufschiebende Wirkung. Bei der Absenkung handelt es sich nämlich um einen mit Widerspruch und Anfechtungsklage anzugreifenden Verwaltungsakt im Sinne von § 39 Nr. 1 SGB II, der über Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende entscheidet. Dies gilt unabhängig davon, ob - was offenbar die Antragsgegnerin meint - die Absenkung verfahrensrechtlich eine Aufhebung der Leistungsbewilligung nach § 48 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) erfordert oder ob die Absenkung nach § 31 SGB II die §§ 45 ff. SGB X verdrängt. Denn in jedem Fall liegt bei - wie hier - zuvor ausgesprochener Bewilligung ein mit der Anfechtungsklage zu beseitigender Eingriff in eine durch Verwaltungsakt zuerkannte Rechtsposition vor (vgl. Senatsbeschluss vom 26. August 2005 - L 13 AS 3390/05 ER-B, zur Absenkung Senatsbeschluss vom 31. Juli 2006 - L 13 AS 1709/06 ER-B in Juris).
Für die Art. 19 Abs. 4 Satz 1 des Grundgesetzes (GG) verwirklichende Entscheidung über die Anordnung der von Gesetzes wegen entfallenen aufschiebenden Wirkung bedarf es einer (vgl. zum Folgenden Senatsbeschluss vom 9. Januar 2003 - L 13 AL 4260/02 ER-B in Juris und Senatsbeschluss vom 31. Juli 2006 a.a.O.) Interessenabwägung, wobei das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts und das Aussetzungsinteresse des Betroffenen gegeneinander abzuwägen sind; dabei sind vorrangig die Erfolgsaussichten des Hauptsacherechtsbehelfs in den Blick...