Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Unfallversicherung. Wegeunfall. sachlicher Zusammenhang. Handlungstendenz. wiederholte Heimfahrt. Wiederaufnahme der betrieblichen Tätigkeit
Leitsatz (amtlich)
Zum Unfallversicherungsschutz bei einem Wegeunfall bei wiederholter Heimfahrt, wenn nach Verlassen der Arbeitsstätte zunächst eine eigenwirtschaftlich veranlasste Rückkehr in den Betrieb, jedoch dann eine Wiederaufnahme der betrieblichen Tätigkeit erfolgt ist.
Tenor
Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 28. September 2010 und der Bescheid der Beklagten vom 17. Dezember 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. Mai 2009 aufgehoben.
Es wird festgestellt, dass das Ereignis vom 18. April 2006 ein Arbeitsunfall war.
Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Feststellung, dass ein von ihm am 18.4.2006 erlittener Motorradunfall ein Arbeitsunfall war.
Der am ...1961 geborene Kläger war zum damaligen Zeitpunkt Angestellter der Firma R. Bauelemente, W.-F.-Straße 38, … B.. Die Distanz zwischen Wohnort und Arbeitsplatz beträgt 8,7 km (vgl. Bl. 27 Gerichtsakte). Je nach Verkehrsdichte dauert es ca. 15 Minuten vom Gewerbegebiet R. nördlich von B. (Arbeitsstätte) bis nach St.. Am Unfalltag verunglückte der Kläger mit seinem Motorrad etwa um 18:00 Uhr (Bl. 11, 13 Verwaltungsakte) auf der B 19 zwischen B. und St. kurz vor seinem Wohnort St.. Dies ist an sich der direkte Heimweg von der Arbeitsstätte; es steht aber fest, dass der Kläger am Unfalltag zweimal die Firma verlassen hat, einmal kurz nach 16.14 Uhr und einmal etwa um 17.45 Uhr. Bei dem Unfall verletzte sich der Kläger schwer am Kopf (schweres Schädel-Hirn-Trauma mit bifrontalen Kontusionen u.a., vgl. Bl. 7, 72 Verwaltungsakte), erlitt mehrere Frakturen und lag in der Folge mehrere Wochen im Koma.
Mit Schreiben vom 30.5.2006 teilte Frau M. von der Personalabteilung der Arbeitgeberin mit, dass nach Erkenntnissen der Arbeitgeberin der Kläger nicht auf dem direkten Heimweg gewesen sei. Er habe am Unfalltag bereits um 16:14 ausgestempelt (Bl. 2, 4 Verwaltungsakte). Im August 2006 teilte die Arbeitgeberin mit, die Befragung von Arbeitskollegen des Klägers hätten keine Erkenntnisse über darüber erbracht, mit welchem Ziel der Kläger am Unfalltag die Firma verlassen habe (Bl. 32 Verwaltungsakte). Nachdem der Kläger aus dem Koma erwacht war, konnte er keine konkreten Angaben zum Arbeitszeitenende am Unfalltag machen, da er sich nicht mehr an die Ereignisse erinnerte (Bl. 50 ff. Verwaltungsakte).
Nachdem der Kläger mitgeteilt hatte, dass seine Kollegen R. und O. eventuell weitere Angaben zum Geschehensablauf am 18.4.2006 machen könnten, teilte die Arbeitgeberin mit Schreiben vom 16.1.2007 (Bl. 106 ff. Verwaltungsakte) folgendes mit: Herr R. und Herr O. hätten erklärt, der Kläger habe um 16.14 die Firma verlassen, er habe nach der Arbeit etwas kaufen wollen und im Laden bemerkt, dass der Geldbeutel fehle. Er sei dann zwischen 17:00 und 17:30 Uhr noch einmal zurück in die Firma gekommen, um seinen Geldbeutel in seinem Spind zu holen. Dabei habe er die Zeugen R. und O. getroffen und die Situation mit dem Geldbeutel erzählt. Bei dem Gespräch seien zwischen dem Kläger und den Kollegen auch geschäftliche Dinge besprochen worden. Über die Dauer des Gesprächs des Klägers mit den Zeugen gibt es unterschiedliche Angaben. In einer ergänzenden Auskunft teilte zunächst die Arbeitgeberin im Oktober 2007 mit, dass die Unterhaltung etwa 5 Minuten gedauert habe (Bl. 118 Verwaltungsakte). Die Zeugen haben später in der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht von einer längeren Gesprächsdauer berichtet.
Die Beklagte versuchte in der Folge zu ermitteln, ob und wo der Kläger möglicherweise einkaufen war. Weder die Arbeitgeberin bzw. die Zeugen R. und O., noch die Vernehmung der Inhaberin eines an dem Arbeitsweg liegenden kleinen Ladens am 19.6.2008 noch deren Sohnes ergab weitere Aufschlüsse (Bl. 79, 125 ff., 167 Verwaltungsakte).
Mit Bescheid vom 17.12.2008 (Bl. 175 Verwaltungsakte) lehnte die Beklagte die Gewährung einer Entschädigung aus Anlass des Ereignisses vom 18.4.2006 ab. Der Kläger sei in die Firma zurückgekehrt, um seinen Geldbeutel zu holen. Dies sei eine Fahrt aus eigenwirtschaftlichen Motiven, die nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung stehe. Ein Nachweis, dass der Kläger zum Unfallzeitpunkt bereits Einkäufe getätigt habe, somit der eigenwirtschaftlich zurückgelegte Weg bereits abgeschlossen gewesen sei und sich der Kläger wieder auf dem versicherten Heimweg befunden habe, liege nicht vor.
Hiergegen legte der Kläger am 18.12.2008 Widerspruch ein. Da im Rahmen der Rückkehr zur Arbeitsstätte das Gespräch mit den Kollegen R. und O. auch geschäftliche Dinge beinhaltet habe, sei die anschließende Heimfahrt wieder versichert gewesen. Es sei nicht bewiesen, dass er den versicherten Heimweg aus privaten Gründen unterbroch...