Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Prozesskostenhilfe. hinreichende Erfolgsaussichten. Inbetrachtkommen einer Beweisaufnahme. Befragung der behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen. Sachaufklärungspflicht. Ausnahmecharakter von § 118 Abs 2 S 3 ZPO

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die für die Bewilligung von PKH erforderliche hinreichende Erfolgsaussicht ist zu bejahen, wenn eine Beweisaufnahme ernsthaft in Betracht kommt und keine konkreten und nachvollziehbaren Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil des die PKH begehrenden Beteiligten ausgehen wird (Anschluss an BVerfG vom 29.9.2004 - 1 BvR 1281/04 = NJW-RR 2005, 140).

2. Ist die Befragung behandelnder Ärzte als sachverständige Zeugen zur Aufklärung des Sachverhalts erforderlich, begründet dies regelmäßig die Annahme hinreichender Erfolgsaussicht iSd § 114 S 1 ZPO jedenfalls dann, wenn den sachverständigen Zeugen (auch) gutachterliche Fragen zum beruflichen Leistungsvermögen gestellt werden (Abgrenzung zu LSG Stuttgart vom 27.4.2010 - L 11 R 6027/09 - veröffentlicht in Juris).

3. § 118 Abs 2 S 3 ZPO ist als eng auszulegende Ausnahmevorschrift zu qualifizieren, für deren Anwendung im sozialgerichtlichen Klageverfahren wegen des vorausgegangenen, ebenfalls vom Amtsermittlungsgrundsatz geprägten Verwaltungs- und Widerspruchsverfahrens regelmäßig kein Raum verbleibt (Abgrenzung zu LSG Stuttgart vom 1.12.2005 - L 10 R 4283/05 PKH-B -Justiz 2006, 149).

 

Tenor

Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Sozialgerichts Reutlingen vom 21. Dezember 2010 aufgehoben.

Dem Kläger wird unter Beiordnung von Rechtsanwalt Sch. Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlungsanordnung für das Klageverfahren S 2 R 1359/10 bewilligt.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Die Beschwerde des Klägers hat Erfolg; sie ist zulässig und begründet.

Die Beschwerde ist statthaft (§ 172 Sozialgerichtsgesetz [SGG]), frist- und formgerecht eingelegt (§ 173 SGG) und damit zulässig. Sie ist auch begründet; dem Kläger ist für das beim Sozialgericht Reutlingen (SG) geführte Klageverfahren S 2 R 1359/10 Prozesskostenhilfe (PKH) ohne Ratenzahlungsanordnung zu bewilligen. Nach § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 114 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO) erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag PKH, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Ist - wie in den Tatsacheninstanzen der Sozialgerichtsbarkeit - eine Vertretung durch Rechtsanwälte nicht vorgeschrieben, wird auf Antrag ein zur Vertretung bereiter Rechtsanwalt beigeordnet, wenn diese Vertretung erforderlich erscheint oder der Gegner durch einen Rechtsanwalt vertreten ist (§ 121 Abs. 2 ZPO). Bei der Prüfung der Erfolgsaussicht ist zu berücksichtigen, dass die Anwendung des § 114 ZPO dem aus Art. 3 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4 und Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz abzuleitenden verfassungsrechtlichen Gebot entsprechen soll, die Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes weitgehend anzugleichen. Daher dürfen die Anforderungen an die Erfolgsaussicht nicht überspannt werden. Maßgebend für die Beurteilung der Erfolgsaussicht ist die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Entscheidungsreife des PKH-Gesuchs (Beschluss des erkennenden Senats vom 27. Februar 2009 - L 13 AS 4995/08 PKH-B; vgl. dazu auch BVerfG, Beschluss vom 26. Juni 2003 - 1 BvR 1152/02 - beide veröffentlicht in Juris), die hier mit Eingang der Erklärung des Klägers über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse beim SG am 7. Mai 2010 eingetreten ist.

Die Voraussetzungen für die Bewilligung von PKH liegen vor; der Kläger ist nach seinen sich aus der Erklärung vom 4. Mai 2010 (nebst beigefügtem Arbeitslosengeld II-Bewilligungsbe-scheid vom 27. November 2009) ergebenden persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht in der Lage, die Kosten der Prozessführung auch nur zum Teil oder in Raten aufzubringen. Darüber hinaus kann auch eine hinreichende Erfolgsaussicht der Klage unter Beachtung obiger Maßstäbe nicht verneint werden. Gegenstand der in der Hauptsache geführten kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage ist der den Rentenantrag des Klägers vom 12. März 2009 ablehnende Bescheid vom 13. Mai 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24. März 2010. Ob sich dieser Bescheid - unter Zugrundlegung der Sach- und Rechtslage im maßgeblichen Zeitpunkt des Eintritts der Entscheidungsreife - nach nur vorzunehmender summarischer Prüfung als rechtswidrig und den Kläger in subjektiven Rechten verletzend erwiesen hat, braucht der Senat nicht zu entscheiden; denn der Sachverhalt war zu diesem Zeitpunkt in medizinischer Hinsicht weiter aufklärungsbedürftig; allein dies rechtfertigt es hier, das Vorliegen hinreichender Erfolgsaussicht im Sinne des § 114 Satz 1 ZP...

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