Entscheidungsstichwort (Thema)

Soziale Pflegeversicherung. Voraussetzungen der Gewährung zusätzlicher Betreuungs- und Entlastungsleistungen wegen erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz ("Pflegestufe 0") in der vom 1.1.2015 bis 31.12.2016 geltenden Fassung

 

Leitsatz (amtlich)

Die Gewährung von Leistungen der Pflegeversicherung wegen erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz (sog Pflegestufe "0") setzt sowohl nach § 45b Abs 1 S 1 iVm § 45a Abs 1 S 2 Nr 2 SGB XI als auch nach § 45b Abs 1a S 2 SGB XI in der vom 1.1.2015 bis zum 31.12.2016 geltenden Fassung voraus, dass beim Versicherten überhaupt ein Grundpflegebedarf besteht, der Anspruch nach § 45b Abs 1a S 2 SGB XI sogar, dass mindestens die Voraussetzungen der Pflegestufe I erfüllt sind.

 

Normenkette

SGB XI § 45 Abs. 1 S. 1, §§ 37, 45a Abs. 1 Sätze 1, 2 Nrn. 1-2, § 45b Abs. 1 Sätze 1-3, 5-6, Abs. 1a S. 2, § 45c Abs. 4 Nrn. 1-2, §§ 123, 14-15, 18; SGG §§ 123, 144 Abs. 1 S. 2

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 04.01.2017; Aktenzeichen B 3 P 26/16 B)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 29. Juni 2016 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I.

Der Rechtsstreit betrifft die Gewährung von Leistungen der sozialen Pflegeversicherung nach der sog. “Pflegestufe 0„.

Der Kläger ist am 1966 geboren. Er ist bei der Beklagten pflegeversichert. Er bezieht eine Rente wegen Erwerbsminderung der gesetzlichen Rentenversicherung sowie ergänzende Leistungen des Sozialhilfeträgers als persönliches Budget. Seit dem 1. März 2011 wird er vom ambulanten Pflegedienst des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) durch einmal wöchentliche Hausbesuche betreut.

Am 29. Juli 2015 beantragte der Kläger bei der Beklagten Pflegegeld der “Pflegestufe 0„.

Im Auftrag der Beklagten erstellte Dr. G. vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK) auf Grund einer Untersuchung des Klägers vom 18. August 2015 am 19. August 2015 ein Gutachten zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit. Beim Kläger läge eine paranoide Schizophrenie (stabil), eine Alkoholkrankheit (stabil), ein Diabetes mellitus, eine chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD), Bluthochdruck sowie Übergewicht vor. Es handele sich nicht um pflegebegründende Diagnosen. Es läge keine demenzbedingte Fähigkeitsstörung, keine geistige Behinderung und keine psychische Erkrankung vor. Im Bereich der Grundpflege bestehe kein Pflegebedarf. Im Bereich der Hauswirtschaft bestehe ein täglich durchschnittlicher Hilfebedarf von 30 Minuten.

Die Beklagte lehnte daraufhin den Antrag des Klägers mit Bescheid vom 31. August 2015 unter Hinweis auf das Gutachten des MDK ab, weil die Voraussetzungen für “Leistungen aus der Pflegeversicherung„ nicht gegeben seien.

Hiergegen erhob der Kläger am 7. September 2015 Widerspruch. Er werde vom DRK gepflegt. Er werde gewogen, es werde mit ihm eingekauft usw. Er legte eine handschriftliche Pflegedokumentation bezüglich der Pflege durch das DRK vor.

Im Auftrag der Beklagten erstellte die Pflegefachkraft Gr. vom MDK unter dem 19. Oktober 2015 ein Gutachten nach Aktenlage. Sie bestätigte darin sowie in einer sozialmedizinischen Fallberatung vom 11. Januar 2016 das Ergebnis des Gutachtens von Dr. G..

Der Kläger erhob am 19. Januar 2016 beim Sozialgericht Mannheim (SG) Untätigkeitsklage (S 5 P 156/16).

Der Widerspruchsausschuss der Beklagten wies den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 24. Februar 2016 zurück. Der Kläger sei nicht pflegebedürftig. Pflegebedürftig seien Personen, die wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate, in erheblichem oder höherem Maße der Hilfe bedürften. Krankheiten im Sinne dieser Vorschriften seien u.a. Verluste, Lähmungen oder andere Funktionsstörungen am Stütz- oder Bewegungsapparat sowie Funktionsstörungen der inneren Organe oder der Sinnesorgane. Die beim Kläger bestehenden Krankheiten seien keine Krankheiten im Sinne der §§ 14 und 15 Sozialgesetzbuch Elftes Buch (SGB XI). Verrichtungen wie Spaziergänge oder die Gabe von Arzneimittel dürften bei der Beurteilung der Pflegebedürftigkeit nicht berücksichtigt werden. Auch die Voraussetzungen für zusätzliche Betreuungsleistungen nach § 45b SGB XI lägen nicht vor. Auch die Voraussetzungen des § 123 Abs. 1 und 2 SGB XI lägen nicht vor, da die Voraussetzungen nach § 45a SGB XI nicht erfüllt seien. Die Alltagskompetenz des Klägers sei im Sinne der Begutachtung von Pflegebedürftigkeit nicht eingeschränkt.

Hiergegen erhob der Kläger am 15. März 2016 beim SG Klage (S 5 P 746/16). Er werde einmal wöchentlich vom DRK betreut. Anspruch auf Leistungen nach “Pflegestufe 0„ habe jemand, der schon auch nur eine Minute im Monat gepflegt werde. Dies sei bei ihm der Fall. Er werde bei Einkäufen und bei Spaziergängen unterstützt.

Das SG verband die Verfahren S...

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