Entscheidungsstichwort (Thema)

Halbwaisenrente. Anspruchsvoraussetzungen. Fortbestehen einer Berufsausbildung. Elternzeit

 

Leitsatz (amtlich)

Für die Dauer einer Elternzeit besteht kein Anspruch auf Halbwaisenrente, weil diese Zeit nicht zur Berufsausbildung iS des § 48 Abs 4 S 1 Nr 2 Buchst a SGB 6 zählt.

 

Orientierungssatz

Im Gesetz selbst - nämlich in § 48 Abs 4 S 3 SGB 6 - ist geregelt, welche Unterbrechungstatbestände für das Fortbestehen der Schul- oder Berufsausbildung unschädlich sind. Eine Elternzeit (oder Erziehungsurlaub) wird dort nicht als Tatbestand aufgeführt, der für das Fortbestehen einer Schul- oder Berufsausbildung unschädlich ist. Da Ausnahmeregelungen eng auszulegen und nicht analogiefähig sind, ist für eine ausdehnende Auslegung durch die Gerichte kein Raum mehr.

 

Nachgehend

BSG (Vergleich vom 10.12.2013; Aktenzeichen B 13 R 12/11 R)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 15. Dezember 2009 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind im Klage- und Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin macht einen Anspruch auf Halbwaisenente geltend.

Die 1984 geborene Klägerin ist die Tochter des 1950 geborenen und 2008 verstorbenen W. W. D. (Versicherter), der bis zu seinem Tod mit der 1953 geborenen Mutter der Klägerin verheiratet war. Am 24. Januar 2005 hatte die Klägerin eine Ausbildung zur Tierarzthelferin begonnen. Grundlage dieser Ausbildung war der Ausbildungsvertrag vom 27. Januar 2005, der auf der Basis der damals noch geltenden Verordnung über die Berufsausbildung zum Tierarzthelfer/zur Tierarzthelferin vom 10. Dezember 1985 (BGBl I S 2209) in der bis zum 31. Juli 2006 geltenden Fassung geschlossen worden war. Die Ausbildungszeit sollte drei Jahre betragen. Am 13. März 2006 kam die Tochter K. der Klägerin zur Welt. Den Antrag der Klägerin, ihr für das erste Lebensjahr des Kindes Bundeserziehungsgeld zu gewähren, lehnte die Landeskreditbank Baden-Württemberg mit Bescheid vom 9. Oktober 2006 ab, weil das anzurechnende Einkommen die nach dem Bundeserziehungsgeldgesetz geltenden Einkommensgrenzen überstieg. Ab dem 1. März 2007 befand sich die Klägerin im Erziehungsurlaub. Am 6. Oktober 2008 kam das zweite Kind der Klägerin (S.) zur Welt. Derzeit befindet sich die Klägerin in Elternzeit, die voraussichtlich bis Oktober 2011 dauern wird.

Am 21. August 2008 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Gewährung von Halbwaisenrente aus der Versicherung ihres Vaters. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 8. September 2008 und Widerspruchsbescheid vom 11. Dezember 2008 ab. Zur Begründung führte die Beklagte im Wesentlichen aus, Waisenrente werde zwar längstens bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres gezahlt, wenn sich die Waise in Berufsausbildung befindet. Der Anspruch auf Waisenrente bestehe auch, wenn das Ausbildungsverhältnis trotz einer Erkrankung fortbestehe und damit gerechnet werden könne, dass die Ausbildung fortgesetzt werde. Gleiches gelte auch für die Dauer der Schutzfristen nach dem Mutterschutzgesetz. Mit der Neufassung von § 48 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) durch das RV-Nachhaltigkeitsgesetz und der dadurch erfolgten abschließenden Aufzählung der unschädlichen Unterbrechungstatbestände in § 48 Abs 4 SGB VI habe der Gesetzgeber jedoch klargestellt, dass er der früheren Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zur Erziehungszeit nicht habe folgen wollen. Die Entscheidung des BSG vom 26. Januar 2000 (SozR 3-2600 § 48 Nr 3, in Fortführung des zur Berufsausbildung ergangenen Urteils des 5. Senats des BSG vom 29. April 1997, BSGE 80, 205 = SozR 3-2200 § 1267 Nr 5) könne für die seit 1. August 2004 geltende Gesetzesfassung nicht mehr herangezogen werden.

Am 8. Januar 2009 hat die Klägerin Klage beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben. Sie hat vorgetragen, das BSG habe in seinen Entscheidungen vom 29. April 1997 und 26. Januar 2000 festgestellt, dass bei Unterbrechung der Schul- bzw Berufsausbildung während der ersten drei Lebensjahre eines Kindes der entsprechende Zeitraum ebenfalls noch zur Schul- bzw Berufsausbildung zähle und die Unterbrechung somit rentenunschädlich sei. Die Auffassung der Beklagten, dass der Gesetzgeber dieser Rechtsprechung bewusst nicht gefolgt sei, sei nicht zutreffend. In seiner Entscheidung vom 17. April 2008 (SozR 4-2600 § 48 Nr 3) habe das BSG ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es nicht nachvollziehen könne, wie man aus der Neuregelung des § 48 Abs 4 SGB VI folgern könne, dass eine Unterbrechungszeit durch Kindererziehung habe ausgeschlossen werden sollen. Sie habe die Absicht, ihre Ausbildung nach der Elternzeit fortzusetzen. Würde man ihr Waisenrente versagen, würde dies de facto bedeuten, dass ihr der Rentenanspruch aufgrund des Umstands verloren gehe, dass sie die ihr zustehende Elternzeit in Anspruch nehme. Die Beklagte ist bei ihrer Rechtsauffassung geblieben.

Das SG hat die Beklagte mit Urteil vom 15. Dezember 2009 u...

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