Entscheidungsstichwort (Thema)

Fortzahlung von Krankengeld bei nicht rechtzeitig bescheinigter, in der Sphäre des Vertragsarztes liegender, Arbeitsunfähigkeit

 

Orientierungssatz

1. Wird das Krankengeld aufgrund der von einem Vertragsarzt ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung entsprechend der dort angegebenen voraussichtlichen Dauer der Arbeitsunfähigkeit gezahlt, so liegt hierin eine zeitlich befristete Bewilligung. Eine nachträglich erfolgte ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit steht dem geltend gemachten Krankengeldanspruch nicht entgegen, wenn der Versicherte alles in seiner Macht Stehende getan hat, um die rechtzeitige Feststellung der Arbeitsunfähigkeit zu erreichen.

2. Einem rechtzeitig erfolgten Arzt-Patienten-Kontakt steht es gleich, wenn der Versicherte alles in seiner Macht Stehende getan hat und rechtzeitig versucht hat, eine ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit zu erhalten, es dazu aber aus dem Arzt und der Krankenkasse zurechenbaren Gründen erst verspätet gekommen ist.

3. Ist ein vom Versicherten mit dem Vertragsarzt rechtzeitig vereinbarten Termin zur Feststellung der Arbeitsunfähigkeit vom Arzt abgesagt worden, ist der Versicherte aber gleichwohl an diesem Termin in der Arztpraxis erschienen, wurde ihm dabei erklärt, er müsse zu einem späteren Termin nochmals vorstellig werden und ist er zu diesem Termin erneut erschienen, so hat er mit diesem weiteren Erscheinen alles ihm Mögliche und Zumutbare unternommen, um eine Folgearbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erlangen. Personell-organidatorische Gründe sind in einem solchen Fall dem Zurechnungsbereich des Vertragsarztes anzulasten, mit der Folge, dass Krankengeld weiterzugewähren ist (BSG Urteil vom 26. 3. 2020, B 3 KR 9/19 R).

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 14.12.2020; Aktenzeichen B 3 KR 41/20 B)

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 17.09.2018 abgeändert und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 28.09.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.02.2018 verurteilt, der Klägerin Krankengeld über den 21.08.2017 hinaus bis zum 16.11.2017 zu gewähren. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen. Die Beklagte hat 3/4 der außergerichtlichen Kosten der Klägerin beider Instanzen zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt von der beklagten Krankenkasse die Gewährung von Krankengeld über den 21.08.2017 hinaus.

Die im Jahr 1987 geborene Klägerin ist bei der Beklagten krankenversichert. Seit dem 25.01.2017 ist sie wegen ihrer Arbeitslosigkeit in der Krankenversicherung der Arbeitslosen versichert gewesen. Ab dem 12.06.2017 war die Klägerin wegen einer depressiven Störung arbeitsunfähig erkrankt. Bis zum 31.07.2017 gewährte ihr die Bundesagentur für Arbeit, zuletzt unter dem Gesichtspunkt der Entgeltfortzahlung, Arbeitslosengeld. Die diesbezügliche Leistungsbewilligung wurde sodann ab dem 24.07.2017 aufgehoben.

Die Arbeitsunfähigkeit der Klägerin ist durch Dr. A. mit Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 12.06.2017 bis zunächst zum 18.07.2017 bescheinigt worden. Mit einer weiteren Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 18.07.2017 bescheinigte Dr. A. sodann Arbeitsunfähigkeit bis zum 21.08.2017, um sodann mit einer Bescheinigung vom 04.09.2017 Arbeitsunfähigkeit bis zum 28.09.2017 zu attestieren. Im weiteren Fortgang wurden der Beklagten sodann Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vom 22.09.2017 und vom 19.10.2017 vorgelegt, mit denen Arbeitsunfähigkeit bis zum 19.10.2017 bzw. bis zum 16.11.2017 bescheinigt worden ist. Auf Anfrage der Beklagten vom 08.09.2017 gab Dr. A. unter dem 14.09.2017 im Rahmen des Formulars "Bericht für die Krankenkasse bei Fortbestehen der Arbeitsunfähigkeit" an, dass der Zeitpunkt des Wiedereintritts der Arbeitsfähigkeit nicht absehbar sei.

Mit Bescheid vom 28.09.2017 bewilligte die Beklagte der Klägerin sodann Krankengeld vom 01. - 21.08.2017 i.H.v. 48,11 EUR täglich. Mit einem weiteren Bescheid vom 28.09.2017 entschied die Beklagte, dass über den 21.08.2017 hinaus kein Krankengeld gewährt werden könne. Bis zu diesem Zeitpunkt sei von einem Arzt Arbeitsunfähigkeit bescheinigt worden. Erst am 04.09.2017 sei dies sodann abermals erfolgt. Indes habe der über den Krankengeldbezug aufrechterhaltene Versicherungsschutz mit dem 21.08.2017 geendet, weswegen (auch) ab dem 04.09.2017 kein Krankengeld gewährt werden könne.

Hiergegen erhob die Klägerin am 27.10.2017 Widerspruch, mit dem sie vorbrachte, sie sei seit Juni 2017 arbeitsunfähig erkrankt. Ihr für den 15.08.2017 bei Dr. A. vereinbarter Termin sei kurzfristig abgesagt worden. Im Anschluss hieran habe sie sich wegen ihrer psychischen Erkrankung nicht mehr aus dem Haus bewegen können. Die Klägerin legte hierzu ein Attest von Dr. A. vom 28.09.2017 vor, in dem bestätigt worden ist, dass die Klägerin seit dem 12.06.2017 bis auf Weiteres arbeitsunfähig erkrankt sei. Die letzte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung sei versehentlich, aus personell organisatorischen Gründen, falsch datiert worden. Sodann ...

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