Entscheidungsstichwort (Thema)
Soziale Pflegeversicherung. Aufhebung der Bewilligung von Pflegegeld bei Änderung der Verhältnisse. Erfordernis einer Benennung des aufzuhebenden Bewilligungsbescheides sowie der Rechtsgrundlage
Leitsatz (amtlich)
Nennt die Pflegekasse in dem Bescheid, mit welchem sie die weitere Bewilligung von Pflegegeld wegen tatsächlicher Änderung der Verhältnisse ablehnt, weder den aufzuhebenden letzten maßgeblichen Bewilligungsbescheid noch die insoweit maßgebliche Rechtsgrundlage des § 48 SGB 10, ist eine wirksame Aufhebung der Bewilligung von Pflegegeld nicht erfolgt.
Tenor
Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 18. August 2008 und der Bescheid der Beklagten vom 28. Januar 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 06. November 2006 aufgehoben.
Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten in beiden Rechtszügen zu erstatten.
Tatbestand
Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob der Kläger ab 01. April 2006 weiterhin Pflegegeld nach Pflegestufe I beanspruchen kann.
Der am … 1984 geborene Kläger, der türkischer Staatsangehöriger ist, ist bei der Beklagten über seinen Vater familienpflegepflichtversichert. Beim Kläger liegen folgende Behinderungen vor: Psychische, mentale und sprachliche Entwicklungsstörung, autistische Verhaltensauffälligkeiten, chronische Mittelohrentzündung mit rezidivierenden Schallleitungsstörungen, Zustand nach Tympanoplastik rechts. Deswegen besteht seit 10. Oktober 1987 ein Grad der Behinderung (GdB) von 80; es sind auch die Merkzeichen G, B und H festgestellt. Nach Angaben des Klägers wurde der GdB später auf 100 erhöht. Der Kläger besuchte eine Schule für geistig Behinderte in S.. Nach Abschluss der Schule ist ein in einer Werkstatt für Behinderte tätig, die er mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreicht.
Am 02. September 1996 beantragte der Kläger bei der Beklagten Leistungen der Pflegeversicherung. Die Beklagte erhob das Gutachten des Dr. L.-R. vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK) vom 28. September 1996. Darin wurde ausgeführt, dass der Kläger bei allen Verrichtungen der Grundpflege, d.h. bei der Körperpflege, der Ernährung und der Mobilität, aufgefordert und/oder kontrolliert werden müsse. Insoweit bestehe ein Hilfebedarf bei der Körperpflege von täglich zehn Minuten (Kontrolle, Aufforderung: Waschen zweimal täglich, Duschen einmal wöchentlich, Zahnpflege zweimal täglich und Kämmen/Rasieren einmal wöchentlich), bei der Ernährung von fünf Minuten (dreimal täglich Kontrolle bei der mundgerechten Zubereitung) und 40 Minuten bei der Mobilität (An- und Auskleiden zweimal täglich, Kontrolle, und fünfmal täglich Fahrten zwischen Schule und zu Hause, wobei der Kläger in fremder Umgebung orientierungslos sei). Es bestehe Pflegebedürftigkeit der Stufe I. Dieser Beurteilung stimmte Internistin Dr. F. zu. Daraufhin bewilligte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 18. Oktober 1996 Pflegegeld nach Pflegestufe I ab 01. September 1996. Am 28. Januar 1997 beantragte der Kläger Höherstufung. Die Beklagte erhob daraufhin das am 29. April 1997 durch Dr. F. unter Mitwirkung der Pflegefachkraft W. erstattete Gutachten. Darin wurde ein täglicher Hilfebedarf bei der Körperpflege von 20 Minuten, bei der Ernährung von fünf Minuten und bei der Mobilität von 35 Minuten angenommen, insgesamt 60 Minuten. Der Grundpflegebedarf habe sich seit September 1996 kaum geändert. Mit Bescheid vom 21. Mai 1997 lehnte die Beklagte die Höherstufung ab. 2003 veranlasste die Beklagte eine erneute Begutachtung des Klägers, nachdem sich der Kläger wegen höherer Pflegeleistungen an die Beklagte gewandt hat (vgl. dazu Schreiben der Beklagten vom 02. Juli 2003). Arzt K. vom MDK erstattete nach Durchführung einer Untersuchung des Klägers am 04. August 2003 das Gutachten vom 19. August 2003. Der Gutachter stellte einen täglichen Hilfebedarf bei der Grundpflege von 48 Minuten fest (Körperpflege 31 Minuten, Ernährung sechs Minuten und Mobilität elf Minuten). Im Vergleich zum Gutachten vom September 1996 sei eine einstufungsrelevante Verschlechterung nicht eingetreten. Mit Schreiben vom 25. August 2003, dem eine Rechtsbehelfsbelehrung beigefügt war, teilte die Beklagte dem Kläger danach mit, er erhalte seit 01. September 1996 in der Pflegestufe I monatlich € 205,00 Pflegegeld. Der Gutachter des MDK habe in zwei Jahren eine Nachuntersuchung empfohlen. Er werde dann beurteilen, ob sich die Pflegebedürftigkeit in der Zwischenzeit geändert habe. Der Kläger wurde auch aufgefordert, regelmäßig die Beratungsbesuche eines zugelassenen Pflegedienstes abzurufen. Am 20. Oktober 2003 beantragte der Kläger erneut Höherstufung, und zwar in die Pflegestufe III. Es wurde geltend gemacht, dass eine Behinderung von 100 v.H. bestehe und dass er (der Kläger) beispielsweise Einkäufe und Essen nicht selber erledigen könne. Die Beklagte erhob das nach Aktenlage erstattete Gutachten des Dr. Me. vom MDK vom 29. April 2004, der unter Berücksichtigun...