Entscheidungsstichwort (Thema)
Verwirkung des Klagerechts nach Verweigerung der Annahme der Urteilszustellung
Orientierungssatz
Verweigert ein Kläger die Annahme eines Einschreibebriefes, mit dem die schriftlichen Urteilsgründe an die angegebene Wohnanschrift zugestellt werden sollten, und vereitelt damit die Urteilszustellung und den Lauf der Berufungsfrist, so verwirkt er aufgrund unzulässiger Rechtsausübung das Recht auf Anfechtung des sozialgerichtlichen Urteils.
Nachgehend
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen ein die Versagung der Bewilligung von Arbeitslosenhilfe (Alhi) bestätigendes Urteil des Sozialgerichts Heilbronn (SG), das sie mehr als ein Jahr nach seinem Ergehen zur Überprüfung gestellt hat.
Die 1956 geborene Klägerin stand von 1990 bis 1996 im Leistungsbezug der Beklagten, und zwar zuletzt unter Bewilligung von Alhi in Höhe von 260,40 DM wöchentlich vom 01.01. bis 31.05.1996 und vom 01.07. bis 25.07.1996 (Bescheide vom 02.01.1996 und vom 01.07.1996) und in Höhe von 265,20 DM vom 01.06. bis 29.06.1996 (Bescheid vom 04.06.1996).
Den Antrag auf Weiterbewilligung von Alhi lehnte das Arbeitsamt L (AA) mit Bescheid vom 24.02.1998, bestätigt durch Widerspruchsbescheid der Widerspruchsstelle des AA vom 27.03.1998, ab, weil sich die Klägerin einer ärztlichen Untersuchung nicht gestellt habe und zwei Meldetermine vom 28.04.1997 und 07.05.1997 nicht wahrgenommen habe. Daher habe die Leistungsfähigkeit und damit die Vermittelbarkeit der Klägerin nicht abschließend geklärt werden können.
Ab dem 08.04.1998 wandte sich die Klägerin mit verschiedenen Schreiben an das SG, die das SG als Klage gegen den Ablehnungsbescheid vom 24.02.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.03.1998 auffasste und die es durch Urteil vom 18.11.1998 abwies.
Die schriftlichen Urteilsgründe übersandte die Geschäftsstelle mit Übergabe-Einschreibebrief vom 03.02.1999 an die frühere Adresse der Klägerin in der L. 4 in ... T, von der aus die Klägerin dem SG noch am 11.02. und am 01.03.1999 Schreiben gesandt hatte. Gleichwohl gelangte das Urteil des SG am 10.02.1999 mit dem Vermerk "Annahme verweigert" an das SG zurück.
Nachdem die Klägerin dem SG auch nach diesem Zeitpunkt weitere Schreiben zugesandt hatte, teilte ihr der Kammervorsitzende mit Schreiben vom 24.09.1999 mit, der Rechtsstreit sei durch Urteil vom 18.11.1998 rechtskräftig beendet, weshalb ihre Schreiben nicht beantwortet werden könnten. Dieses Schreiben leitete die Klägerin in Fotokopie an das SG mit einem handschriftlich versehenen, an das Bundessozialgericht gerichteten Vermerk zurück, wonach ihr ein Urteil "vom 18. November" nicht vorliege.
Am 19.04.2000 hat die Klägerin die Angelegenheit dem Landessozialgericht vorgelegt, nachdem ihr das AA mit Schreiben vom 13.04.2000 eine Kopie des Urteils vom 18.11.1998 übermittelt hat.
Die Klägerin rügt die Fehlerhaftigkeit der Entscheidung und beantragt sinngemäß,
die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Heilbronn vom 18.11.1998 und des Bescheides vom 24.02.1998 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.03.1998 zu verurteilen, ihr Arbeitslosenhilfe ab 06.03.1997 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angegriffene Urteil für zutreffend.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten wird auf die Akten des Senats, des SG und die Leistungsakte des AA Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.
Entscheidungsgründe
Das Begehren auf Überprüfung des Urteils des SG bleibt ohne Erfolg.
Dabei kann der Senat offen lassen, ob die handschriftlichen Anmerkungen auf der dem Landessozialgericht übersandten Fotokopie des Urteils vom 18.11.1998 im Sinne des § 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hinreichend deutlich den Willen der Klägerin erkennen lassen, das Urteil mit der Berufung angreifen zu wollen. Auch braucht nicht entschieden zu werden, ob die Berufungsfrist des § 151 Abs. 1 SGG, wonach die Berufung bei dem Landessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils einzulegen ist, deshalb nicht einzuhalten war, weil das Urteil des SG ihr möglicherweise nicht zugestellt worden ist. Denn jedenfalls hat die Klägerin das Recht auf Anfechtung des Urteils verwirkt.
In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass Klagerechte verwirkt sein können, auch wenn formal eine Frist zur Erhebung der Klage noch nicht abgelaufen ist. Dazu hat das Bundessozialgericht (BSG) entschieden, dass die Verwirkung ein Unterfall der unzulässigen Rechtsausübung ist und sich von der Verjährung dadurch unterscheidet, dass der bloße Zeitablauf nicht genügt, um die Ausübung des Rechts als unzulässig anzusehen. Zu dem Ablauf einer längeren Zeitspanne müssen besondere Umstände hinzutreten, welche die spätere Geltendmachung des Rechts mit der Wahrung von Treu und Glauben als nicht vereinbar und dem Rechtspartner gegenüber wegen des illoyalen Verhaltens des Berechtigten nicht als zumutbar e...