Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Einkommens- oder Vermögensberücksichtigung. Abfindung. Steuererstattung. einmalige Einnahme. Zuflussprinzip. Ermächtigungskonformität. verfassungskonforme Auslegung
Orientierungssatz
1. Eine - aufgrund eines arbeitsgerichtlichen Vergleichs für den Verlust des Arbeitsplatzes - gezahlte - Abfindung, die nach Antragstellung des Hilfebedürftigen auf Leistungen nach dem SGB 2 ausgezahlt worden ist, stellt eine einmalige Einnahme in Geld und damit Einkommen iS des § 11 Abs 1 S 1 SGB 2 iVm § 2 Abs 3 S 1 und S 2 AlgIIV dar und ist ab dem Zuflussmonat zu berücksichtigen. Die Abfindung ist auch nicht nach § 11 Abs 3 Nr 1 SGB 2 anrechnungsfrei.
2. Eine Steuererstattung, die nach Antragstellung des Hilfebedürftigen auf Leistungen nach dem SGB 2 ausgezahlt worden ist, stellt ebenfalls eine einmalige Einnahme in Geld und damit Einkommen iS des § 11 Abs 1 S 1 SGB 2 iVm § 2 Abs 3 AlgIIV dar und ist ab dem Zuflussmonat zu berücksichtigen.
3. Die Regelung des § 2 Abs 3 AlgIIV wird von der Ermächtigungsgrundlage des § 13 SGB 2 gedeckt und steht mit höherrangigem Recht im Einklang. Sie ist im Übrigen auch mit der bisherigen Rechtsprechung der Sozialgerichte in Übernahme der früheren Rechtsprechung des BVerwG zu den Vorschriften des BSHG (vgl BVerwG vom 18.2.1999 - 5 C 35/97 = BVerwGE 108, 296 = NJW 1999, 3649, LSG Berlin-Potsdam vom 31.7.2006 - L 19 B 303/06 AS ER = FEVS 58, 222) vergleichbar.
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 19. Dezember 2006 geändert und die Klage insgesamt abgewiesen.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 19. Dezember 2006 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem SGB II (Arbeitslosengeld II) für den Zeitraum vom 1. April bis 6. Juli 2005.
Der am 1954 geborene Kläger stand bis zum 12. Januar 2005 in einem befristeten Beschäftigungsverhältnis bei der Firma M. GmbH in L. Am 31. Januar 2005 erhob er Klage gegen seine Arbeitgeberin vor dem Arbeitsgericht L., gerichtet auf Weiterbeschäftigung und Zahlung von ausstehendem Arbeitsentgelt (Az. 1 Ca 52/05). Dieses Klageverfahren wurde am 5. April 2005 im Vergleichswege beendet. Die dortigen Beteiligten einigten sich darauf, dass das Arbeitsverhältnis mit dem 12. Januar 2005 beendet war, der Kläger aber eine Abfindung in Höhe von insgesamt brutto 2.750,00 € für den Verlust des Arbeitsplatzes erhalten sollte, fällig in zwei Teilbeträgen in Höhe von 1.500,00 € am 15. April 2005 und in Höhe von weiteren 1.250,00 € am 15. Mai 2005. Zum 4. Juli 2005 nahm der Kläger ein Beschäftigungsverhältnis bei der Firma P. S. in L. auf.
Am 13. Januar 2005 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung von Arbeitslosengeld II (Alg II). Den Formantrag nebst Unterlagen zu seinen Unterkunftskosten, Einkommens- und Vermögensverhältnissen legte er der Beklagten erst am 7. Juli 2005 vor. Nachdem die Beklagte mit Schreiben vom 11. Juli 2005 noch weitere Unterlagen angefordert hatte und diese zunächst nicht vorgelegt worden waren, wurden die beantragten Leistungen mit Bescheid vom 24. August 2005 wegen mangelnder Mitwirkung nach §§ 60, 66 SGB I versagt. Gegen diese Entscheidung legte der Kläger am 29. August 2005 Widerspruch ein und reichte im Widerspruchsverfahren die angeforderten Unterlagen und Erklärungen nach. Mit Bescheid vom 2. September 2005 wurde dem Kläger daraufhin für die Zeit vom 7. Juli 2005 bis 31. Dezember 2005 Alg II in Höhe von monatlich 925,50 € (Regelleistung 345,00 € und Kosten der Unterkunft 580,50 €) bewilligt. Für die Zeit vor dem 7. Juli 2005 wurde der Antrag mit der Begründung abgelehnt, in diesen Monaten sei anderweitiges Einkommen erzielt worden, mit dem der Kläger seinen Lebensunterhalt habe bestreiten können, insbesondere eine Steuerrückerstattung in Höhe von 1.488,66 €, eine Rückzahlung im Rahmen eines privaten Versicherungsverhältnisses in Höhe von 1.965,62 € sowie die im Arbeitsgerichtsprozess erstrittene Abfindung in Höhe von insgesamt 2.750,00 €. Auch gegen diesen Bescheid legte der Kläger am 6. September 2005 Widerspruch ein und begehrte die Gewährung von Leistungen ab der Antragstellung am 13. Januar 2005. Die zwischenzeitlich zugeflossenen Geldbeträge seien als Vermögen zu werten, welches unter dem ihm zustehenden Freibetrag liege, und daher nicht zu berücksichtigen sei. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 12. September 2005 als unbegründet zurückgewiesen. Allein auf Grund der Tatsache, dass der Kläger fast sechs Monate habe verstreichen lassen, bis er den Formantrag auf Alg II und die für die Bearbeitung des Antrags notwendigen Unterlagen vorgelegt habe, sei anzunehmen, dass er in dieser Zeit nicht bedürftig gewesen sei, sondern seinen Lebensunterhalt durch...