Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Anspruch auf Einsichtnahme in Patientenakte richtet sich nicht gegen Krankenkasse. Rechtsweg zu den Zivilgerichten. Einholung von freien Gutachten keine Unterstützungshandlung der Krankenkassen

 

Orientierungssatz

1. Ein Anspruch auf Einsichtnahme in die Patientenakte eines Versicherten richtet sich nicht gegen die beklagte Krankenkasse, diese ist also nicht passivlegitimiert.

2. Für eine Klage auf Herausgabe von Krankenunterlagen nach einer ambulanten zahnärztlichen Behandlung ist der Rechtsweg zu den Zivilgerichten gegeben (vgl BGH vom 23.11.1982 = VI ZR 222/79 = BGHZ 85,327).

3. Die Krankenkassen können zwar nach § 66 SGB 5 die Versicherten bei der Verfolgung von Schadensersatzansprüchen, die bei der Inanspruchnahme von Versicherungsleistungen aus Behandlungsfehlern entstanden sind und nicht nach § 116 SGB 10 auf die Krankenkassen übergehen, unterstützen. Die Einholung von freien Gutachten kommt als Unterstützungshandlung allerdings nicht in Betracht.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 08.09.2015; Aktenzeichen B 1 KR 36/14 R)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Ulm vom 19.12.2011 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Einholung eines zahnärztlichen Gutachtens sowie die Herausgabe von Patientenakten.

Der Kläger ist bei der Beklagten als Bezieher von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) gemäß § 5 Abs 1 Nr 2a Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) gesetzlich krankenversichert. Nach zahnärztlichen Behandlungen bei Dr. W. in den Jahren 2004 und 2007 erhob der Kläger Vorwürfe gegen Dr. W. wegen Behandlungsfehlern. Die Beklagte holte daraufhin ein Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK) ein, welches von Dr. Dr. U. und Dr. V. am 03.03.2008 nach Aktenlage erstellt wurde. Zudem bat der Kläger im August 2010 um Übersendung der Unterlagen bezüglich zahnärztlicher Leistungen von 2001 bis 2009. Die Beklagte übersandte dem Kläger mit Schreiben vom 09.08.2010 Behandlungsdaten eines anderen Arztes und teilte bezüglich der Patientenakte von Dr. W. mit, dass diese ihr nicht vorliege. Der Kläger könne sich mit der Patientenberatungsstelle der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg in Verbindung setzen.

Der Kläger hat am 14.06.2011 Klage beim Sozialgericht (Ulm) erhoben und zur Begründung sinngemäß ausgeführt, dass er die Einholung eines zahnärztlichen Gutachtens sowie die Herausgabe der Patientenakte von Dr. W. verlange.

Das SG hat die Klagen mit Gerichtsbescheid vom 19.12.2011 als unzulässig abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass die Beklagte für die Einsichtnahme in die Patientenakte von Dr. W. nicht passivlegitimiert sei. Ein zahnärztliches Gutachten liege mit dem Gutachten von Dr. Dr. U. und Dr. V. bereits vor. Bezüglich eines eventuell bestehenden Anspruches auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über einen Antrag auf Prüfung nach § 275 Abs 3 Nr 4 SGB V fehle es an einer Verwaltungsentscheidung.

Hiergegen hat der Kläger fristgerecht Berufung eingelegt und zur Begründung ausgeführt, dass das Gutachten des MDK ohne klinische Untersuchung und ohne seine Zustimmung eingeholt worden sei. Auch sei hierfür nicht der MDK, sondern die Kassenzahnärztliche Vereinigung zuständig. Das Einsichtsrecht in die Patientenakte ergebe sich aus § 810 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Auch sei nicht berücksichtigt worden, dass sowohl die AOK als auch Dr. W. Beklagte seien. Das Gutachten des MDK sei nicht ordnungsgemäß eingeholt worden, da er keine Zustimmung zur Entbindung von der Schweigepflicht erteilt habe. Zudem sei die Beklagte bei dem Verfahren um Anerkennung von Behandlungsfehlern nicht neutral.

Der Kläger beantragt sachdienlich gefasst,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Ulm vom 19.12.2011 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Einsicht in seine Patientenakte bei Dr. W. zu gewähren und ein zahnärztliches Gutachten einzuholen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte hat zur Berufungserwiderung auf ihr Vorbringen in erster Instanz verwiesen.

Mit Beschluss vom 26.04.2013 wurde der Antrag des Klägers auf Gewährung von Prozesskostenhilfe abgelehnt.

Bezüglich des weiteren Vorbringens der Beteiligten und der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte beider Rechtszüge verwiesen.

 

Entscheidungsgründe

Die nach den §§ 143, 144 Abs 1, 151 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist statthaft und damit zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet. Das SG hat zu Recht die Klagen als unzulässig abgewiesen.

Der Senat nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffenden Gründe des angefochtenen Gerichtsbescheids Bezug und weist die Berufung aus diesen Gründen zurück (§ 153 Abs 2 SGG).

Lediglich ergänzend führt der Senat an, dass sich der begehrte Anspruch auf Einsichtnahme in die...

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