Entscheidungsstichwort (Thema)
Rente wegen Todes aus der gesetzlichen Rentenversicherung. Witwenrente. widerlegbare Vermutung. Versorgungsehe. kurze Ehedauer. Versorgungsabsicht. lebensbedrohliche Erkrankung. stabiler Zustand einer Krebserkrankung zum Zeitpunkt der Eheschließung
Leitsatz (amtlich)
Der lebensbedrohliche Zustand einer Krankheit muss für die Annahme einer Versorgungsehe zum Zeitpunkt der Eheschließung offenkundig sein. Bei einem stabilen Zustand einer Krebserkrankung zum Zeitpunkt der Eheschließung kann die Vermutung einer Versorgungsehe widerlegt werden.
Normenkette
SGB VI § 46 Abs. 2 S. 1, Abs. 2a, § 242a Abs. 3; ZPO § 292; SGG § 202
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 13. September 2018 sowie der Bescheid vom 13. April 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. September 2016 aufgehoben und wird die Beklagte verpflichtet, der Klägerin aus der Versicherung des K. S. eine große Witwenrente zu gewähren.
Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten in beiden Rechtszügen zu erstatten.
Tatbestand
Streitig ist die Gewährung einer großen Witwenrente aus der Versicherung des am 8.1.2016 verstorbenen K. S. (im Folgenden: Versicherter) unter dem Gesichtspunkt einer sog. Versorgungsehe.
Am 2.4.2015 schlossen die am 00.00.1940 geborene geschiedene Klägerin und der am 00.00.1940 geborene verwitwete Versicherte die Ehe.
Die Eheleute hatten sich 1997 kennengelernt. Im Jahr 2001 war die Klägerin zum Versicherten in dessen Haus gezogen. 2008 wurde beim Versicherten ein Prostatakarzinom diagnostiziert und zunächst erfolgreich behandelt (radikale Prostataektomie im Januar 2009 sowie eine Radiatio der Loge und der Lymphknoten im Zeitraum von Juli 2009 bis September 2009). Im Mai 2013 wurde bei Verdacht auf retroperitoneale (hinter dem Bauchfell) und Lungenmetastasen eine Hormonblockade begonnen, die regredient (zurückbildent) wirkte. Nach der Heirat der Tochter des Versicherten im Mai 2014 ergab sich nach Computertomografie (CT), dass der Befund bei Behandlung stabil war. Beim Versicherten entwickelte sich anschließend eine Depression, die im Juni 2014 im Zentrum für Psychiatrie (ZfP) stationär behandelt wurde. Von September 2014 bis Dezember 2014 wurde der Versicherte im ZfP C. deshalb nochmals stationär behandelt. Als Diagnosen wurden eine rezidivierende Depression, gegenwärtig schwere Episode mit psychotischen Symptomen, sowie eine leichte kognitive Störung festgestellt (Entlassungsbericht vom 5.12.2014). Ausweislich des Pflegegutachtens vom 15.12.2014 hatte der Versicherte die Pflegestufe II. Im Januar 2015 wurde eine Parkinsonerkrankung festgestellt.
Am 2.4.2015 heirateten die Klägerin und der Versicherte vor dem Standesamt S.. Hierbei wurden Geburtsurkunden vorgelegt, die bereits im Juni 2014 ausgestellt worden waren. Die Anmeldung zur Eheschließung war am 4.3.2015 erfolgt.
Im Juli 2015 verschlechterte sich der Zustand des Versicherten zunehmend. Schließlich verstarb er am 8.1.2016. Als Todesursache sind in der Totenbescheinigung vom 10.1.2016 dekompensierte Herzinsuffizienz, respiratorische Insuffizienz, Pneumonie, Immobilität, Parkinson-Krankheit sowie Prostatakarzinom gestellt.
Am 3.2.2016 beantragte die Klägerin Witwenrente aus der Versicherung ihres verstorbenen Ehemannes und gab an, dass der Wunsch zu heiraten schon früher bestanden habe aber immer wieder zurückgestellt worden sei (Bl. 32 VA). Sie selbst beziehe Altersrente der DRV Bund in Höhe von 1.087,81 € sowie eine Altersrente aus der Schweiz in Höhe von ca. 300 € monatlich.
Die Beklagte holte den Befundbericht des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. J., der den Versicherte seit 1992 behandelt und zuletzt am 7.1.2016 untersucht hatte, ein. Unter dem 10.3.2018 berichtete er als Diagnosen: Metastasierendes Prostatakarzinom mit Lungenmetastasen, Zustand nach Operation und Radiatio 2008, Bronchopneumonie, permanentes Vorhofflimmern, Parkinson‘sche Krankheit. Beigefügt waren radiologische Befundberichte aus Oktober 2015. Dem radiologischen Bericht des Dr. D. vom 8.10.2015 ist zu entnehmen, dass im Vergleich zum Vor-CT vom 30.6.2014 eine größenprogrediente bekannte intrapulmonale Manifestation bis max. 20 × 11 mm (Voruntersuchung max. 8 mm) festgestellt wurde (Bl. 50 VA). Beratungsarzt Dr. H. bemerkte unter dem 8.4.2016, dass zum Zeitpunkt der Heirat im April 2015 eine schwere lebensbedrohliche Erkrankung bekannt gewesen sei.
Daraufhin lehnte die Beklagte den Antrag auf Hinterbliebenenrente mit Bescheid vom 13.4.2016 ab, die gesetzliche Vermutung einer Versorgungsehe bei der Ehedauer unter einem Jahr sei nicht widerlegt worden.
Dagegen legte die Klägerin Widerspruch ein und legte Bescheinigungen des Dr. J. vom 25.4.2016 und des Urologen Sch. vom 10.5.2016 vor (Bl. 65, 70 VA bzw. Bl. 9,11 SG). Zum Zeitpunkt der Heirat sei eine Abschätzung der Lebenserwartung nicht möglich gewesen. Dr. J. berichtete, der Allgemeinzustand habe sich ab Juli 2015 mehr wegen der Parkinsonerkrankung verschlech...