Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Klageschrift. Bezeichnung des Klägers. Angabe einer ladungsfähigen Anschrift. Ausnahme bei Obdachlosigkeit. Arbeitslosengeld II. Unterkunft und Heizung. Unterkunftskosten. Beiträge zur Kfz-Haftpflichtversicherung. Pritschenwagen als Unterkunft. Existenzminimum. Regelbedarf. Verfassungsmäßigkeit. Minderung wegen eines Meldeversäumnisses. Fortsetzungsfeststellungsinteresse. Wiederholungsgefahr

 

Leitsatz (amtlich)

Ein Pritschenwagen ist keine geeignete Unterkunft iS von § 22 SGB II.

 

Orientierungssatz

Zwar muss die Klage gem § 92 Abs 1 S 1 SGG auch den Kläger bezeichnen, worunter unter anderem das Erfordernis einer ladungsfähigen Anschrift fällt (vgl BSG vom 18.11.2003 - B 1 KR 1/02 S = SozR 4-1500 § 90 Nr 1). Wenn der Kläger jedoch obdachlos ist und über keine ladungsfähige Anschrift verfügt, liegen hinreichende Gründe vor, die eine Ausnahme von dieser Vorschrift gebieten, um dem Kläger auch in seiner Situation effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten.

 

Normenkette

SGB II § 20 Abs. 2 S. 1, Abs. 5, § 22 Abs. 1 S. 1, § 32 Abs. 1, § 31b Abs. 1, § 59; GG Art. 1 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1; EStG § 32a Abs. 1 S. 1 Nr. 1; SGB X § 48 Abs. 1 S. 1; SGG § 92 Abs. 1 S. 1, § 131 Abs. 1 S. 3

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 4. November 2015 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit vom 01.01.2014 bis 30.06.2014. Daneben wendet er sich gegen einen Sanktionsbescheid des Beklagten wegen des Vorwurfs eines Meldeversäumnisses sowie gegen einen Eingliederungsverwaltungsakt.

Der 1955 geborene erwerbsfähige Kläger ist seit einigen Jahren ohne festen Wohnsitz und nutzte nach eigenen Angaben bis Januar 2015 sein Auto, einen VW Pritschenwagen (Erstzulassung 1983), als Schlafstätte. Vom 01.07.2010 bis 30.06.2014 hielt er sich in F. auf und bezog Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, Arbeitslosengeld II, von dem Beklagten. Seinen Hausrat lagerte er in diesem Zeitraum in einem gemieteten Kellerraum in R. ein. Hierfür entstanden ihm monatliche Aufwendungen in Höhe von 68,- €. Zudem entstanden dem Kläger zum 01.01.2014 (Fälligkeitsdatum) Aufwendungen aus einer Kraftfahrzeug(Kfz)-Haftpflichtversicherung in Höhe von 246,85 €. In den ersten Jahren erkannte der Beklagte diese Aufwendungen des Klägers als Bedarf für Unterkunft und Heizung an. Des Weiteren gewährte ihm der Beklagte jährlich eine “Heizkostenpauschale„ für Aufwendungen aufgrund der im Jahr 2008 im Kfz eingebauten Standheizung, zuletzt mit Bescheid vom 30.10.2013 für die Heizperiode 2013/2014.

Seit dem Jahre 2004 hat der Kläger überdies ein Gewerbe bei der Stadt R. angemeldet für “Dienstleistungen aller Art„, insbesondere kaufmännischer, gärtnerischer, handwerklicher, logistischer oder persönlicher Art.

1.

Im Jahre 2013 führte der Beklagte Ermittlungen zu der Unterkunftssituation des Klägers durch (Blatt 46 ff. Verwaltungsakte/FM-Akte). Mit Bescheid vom 11.12.2013 gewährte der Beklagte dem Kläger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit vom 01.01.2014 bis 30.06.2014 in Höhe von 459,- € monatlich. Dabei berücksichtigte der Beklagte einen Regelbedarf in Höhe von 391,- € sowie Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 459,- €. Einkommen berücksichtigte der Beklagte nicht. Der Kläger wurde darauf hingewiesen, dass in Zukunft keine zusätzlichen Kosten der Unterkunft für das Kfz anerkannt werden könnten, da dieses nach derzeitigem Kenntnisstand keine Unterkunft darstelle, weil eine Privatsphäre darin nicht gewährleistet sei.

Der Kläger legte gegen den Bescheid vom 11.12.2013 am 30.12.2013 Widerspruch ein und verwies zur Begründung auf laufende Verfahren (B 14 AS 43/13 BH und L 3 AS 4021/13). Dem Schreiben legte er Kopien diverser Zeitungsartikel über “Hartz IV„, Armut in der Bundesrepublik Deutschland sowie Preiserhöhungen bei Schulessen bei. Mit Widerspruchsbescheid vom 24.02.2014 wies der Beklagte den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 11.12.2013 zurück und führte im Wesentlichen aus, dass die Höhe des Regelbedarfs gesetzlich festgelegt werde. Die Behörde habe somit bei der Entscheidung, in welcher Höhe der Regelbedarf zu gewähren sei, keinen Ermessensspielraum.

Der Kläger hat hiergegen am 27.03.2014 bei dem Sozialgericht Konstanz (SG) Klage erhoben (S 9 AS 959/14) und im Wesentlichen vorgetragen, dass der Gesetzgeber den zugrunde gelegten, allgemein unabwendbaren Bedarf aus politischem Kalkül um wenigstens 120,- € zu niedrig festgesetzt und erst hiernach das dazu schlüssige Zahlenwerk “geschustert„ habe. Auf Anfrage der Kammervorsitzenden, in welcher Höhe seiner Ansicht nach die Regelleistung verfassungsgemäß wäre, hat er geantwortet, dass es Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) sei, dies festzustellen. Sein subjektives Empfinden sei zur ...

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