Entscheidungsstichwort (Thema)
Elterngeld. selbstständige Tätigkeit. letzter steuerlicher Veranlagungszeitraum. landwirtschaftlicher Betrieb. landwirtschaftliches Wirtschaftsjahr als Gewinnermittlungszeitraum. Kalenderjahr als Veranlagungszeitraum. Verschiebung des Bemessungszeitraums wegen COVID-19-Pandemie. konkrete Darlegung eines geringeren Einkommens. sozialgerichtliches Verfahren. Bewilligung vorläufigen Elterngelds. Geltendmachung eines Anspruchs auf endgültiges Elterngeld
Leitsatz (amtlich)
1. Die Bewilligung vorläufiger Leistungen nach § 8 Abs 3 BEEG ist ein eigenständiger Verwaltungsakt, der mit Widerspruch und Klage angefochten werden kann. Mit der Klage gegen eine vorläufige Bewilligungsentscheidung kann geltend gemacht werden, dass die Voraussetzungen für eine lediglich vorläufige Bewilligung nicht vorliegen und stattdessen eine endgültige Bewilligung hätte erfolgen müssen.
2. Nach § 2b Abs 2 S 1 BEEG sind für die Ermittlung des Einkommens aus selbstständiger Erwerbstätigkeit iS von § 2d BEEG vor der Geburt die jeweiligen steuerlichen Gewinnermittlungszeiträume maßgeblich, die dem letzten abgeschlossenen steuerlichen Veranlagungszeitraum vor der Geburt des Kindes zugrunde liegen. Die Regelung verpflichtet die Elterngeldbehörde, bei der Berechnung des Elterngeldes als Bemessungszeitraum den letzten steuerlichen Veranlagungszeitraum vor der Geburt des Kindes zugrunde zu legen. Steuerlicher Veranlagungszeitraum ist das Kalenderjahr (vgl §§ 2 Abs 7, 25 Abs 1 EStG). Davon zu unterscheiden ist der steuerliche Gewinnermittlungszeitraum, der vom Veranlagungszeitraum abweichen kann.
Orientierungssatz
Zur Glaubhaftmachung des Verschiebetatbestands des § 2b Abs 1 S 3 BEEG idF vom 3.12.2020 genügt es nicht, wenn ein geringeres Einkommen aufgrund der COVID-19-Pandemie nur pauschal behauptet, jedoch nicht ansatzweise dargelegt wird.
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 26.01.2022 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die endgültige anstatt einer vorläufigen Gewährung von Elterngeld sowie der dabei zugrunde zu legende Bemessungszeitraum streitig.
Die 1984 geborene, verheiratete Klägerin ist Mutter der am 26.08.2008 und 17.11.2011 geborenen Söhne sowie der am 23.02.2021 geborenen Tochter J (J). Die Klägerin wohnte zunächst gemeinsam mit ihrem Ehemann sowie J in einem Haushalt, nach ihrer Trennung von ihrem Ehemann mit J allein. Sie betreut und erzieht ihre Kinder. Die Klägerin war im Rahmen der Familienversicherung bei der LKrankenkasse versichert und erhielt kein Mutterschaftsgeld (Bescheid der LKrankenkasse vom 27.01.2021, Bl 87 der Verwaltungsakten).
Zwischen den Eheleuten bestand zum Zweck der gemeinsamen Bewirtschaftung sowie der Erhaltung und Verbesserung der Existenzfähigkeit ihres landwirtschaftlichen Betriebes in D eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) aufgrund des Gesellschaftsvertrages vom 01.01.2017 in der Fassung des Ergänzungsvertrages vom 01.01.2018. Danach wurden Gewinn und Verlust aus dem landwirtschaftlichen Betrieb zwischen der Klägerin und ihrem Ehemann im Verhältnis 30% zu 70% aufgeteilt. Weiterhin war ua vereinbart, dass für den Fall, dass ein Gesellschafter von dem Recht Gebrauch macht, Elterngeld zu beziehen, für diesen Zeitraum er keinen Gewinnanteil erhält. Das Geschäftsjahr der Gesellschaft entsprach dem landwirtschaftlichen Wirtschaftsjahr (01.07. bis 30.06.).
Am 19.04.2021 beantragte die Klägerin anlässlich der Geburt von J die Bewilligung von Basiselterngeld für den 01. bis 09. sowie den 12. bis 14. Lebensmonat der J. Ihr Ehemann beantragte zunächst Basiselterngeld für den 10. und 11. Lebensmonat, nahm diesen Antrag aber später zurück. Die Eheleute gaben an, dass sie Einkommen aus selbstständiger Arbeit aus einem landwirtschaftlichen Milchviehbetrieb vom 01.07.2013 bis 22.02.2021 erzielt hätten. Im Zeitraum, für den sie - die Klägerin - Elterngeld beantragt habe, habe sie voraussichtlich kein Einkommen aus Erwerbstätigkeit bzw weder Einnahmen noch Ausgaben aus selbstständiger Tätigkeit. Außerdem habe sie Einkommensersatzleistungen in Form einer Berufsunfähigkeitsrente bis zum 22.02.2021 erhalten. Der Umfang reduziere sich durch sonstige Maßnahmen. Der Steuerbescheid für das Jahr 2019 sei noch nicht vorhanden. Die Klägerin legte dem Antrag die Berechnung für die Einkommensteuer 2019 sowie den Einkommensteuerbescheid 2018 bei. In dem Bescheid des Finanzamtes T vom 20.11.2020 für 2018 über Einkommensteuer sind Einkünfte der Klägerin aus Land- und Forstwirtschaft in Höhe von 18.700,00 € sowie Leibrenten aus privaten Rentenversicherungen in Höhe von 44.791,00 € dokumentiert. In der Einkommensteuererklärung für das Jahr 2019 wurden für die Klägerin Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft in Höhe von 18.546,00 € sowie sonstige Einkünfte nach § 22 Einkommensteuergesetz (EStG) in Höhe von 2.901,00 € ausgewiesen. Sie beantragte die Vers...