Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Unfallversicherung. Arbeitsunfall. Unfallkausalität. haftungsbegründende Kausalität. Nachweis. Wahrscheinlichkeit. zweistufige Kausalitätsprüfung. Theorie der wesentlichen Bedingung. Anlageleiden. Konkurrenzursache. Sturz auf die Schulter. Läsion der Rotatorenmanschette
Leitsatz (amtlich)
1. Die Kausalitätsprüfung in der gesetzlichen Unfallversicherung nach der Theorie der wesentlichen Bedingung erfolgt in zwei Stufen: Auf der ersten Stufe ist der naturwissenschaftliche Zusammenhang, auf der zweiten Stufe die Frage zu klären, ob die schädigende Einwirkung für die geltend gemachte Gesundheitsschädigung wesentlich war. Bei der Prüfung der Wesentlichkeit handelt es sich um eine - vom juristischen Betrachter, nicht vom Mediziner - vorzunehmende Wertung über die Reichweite des Unfallversicherungsschutzes, wobei der Frage maßgebliche Bedeutung zukommt, ob auch ein alltägliches Ereignis die in Rede stehende Schädigung herbeigeführt hätte.
2. Die Eignung des Unfallereignisses ist eine Frage des naturwissenschaftlichen Kausalzusammenhangs und deshalb auf der ersten Stufe der Kausalitätsprüfung zu prüfen. Sie kann regelmäßig nur dann verneint werden, wenn der geschädigte Körperteil durch das Unfallereignis überhaupt nicht betroffen war. Soweit unfallmedizinische Literatur (hier: Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Auflage) demgegenüber unter Vermischung der beiden Stufen der Kausalitätsprüfung der Frage der Eignung Kriterien der Wesentlichkeit zuordnet, kann sie der Kausalitätsbetrachtung nicht zu Grunde gelegt werden.
3. Bei der Prüfung des naturwissenschaftlichen Zusammenhangs zwischen einem Unfall (hier: Sturz auf die Schulter) und einer Schädigung (hier: Ruptur der Rotatorenmanschette) ist vor allem darauf abzustellen, ob in engem zeitlichen (weil nach dem Ereignis und ohne Hinweis auf eine weitere unfallunabhängige spätere Schädigung festgestellt) und örtlichen (weil im Bereich des vom Sturz betroffenen Körperteils festgestellt) Zusammenhang Hinweise auf eine akute Schädigung vorliegen. Von Bedeutung sind insoweit vor allem die vom erstuntersuchenden Arzt erhobenen Befunde mit Diagnose, die bildgebende Diagnostik (insbesondere Röntgenaufnahmen, Sonografie, Kernspintomographie) und eventuell durchgeführte invasive Diagnoseverfahren mit nachfolgender histologischer Auswertung.
4. Für die Prüfung der Wesentlichkeit können Krankheitsanlagen oder Vorschäden als konkurrierende Ursachen nur dann berücksichtigt werden, wenn sie - auch hinsichtlich des Ausmaßes - nachgewiesen sind. Veränderungen im Bereich der knöchernen Strukturen der Schulter (hier: AC-Gelenkgelenksarthrose, Enge unter dem Schulterdach) oder allgemeine Erkenntnisse über die Anfälligkeit der Rotatorenmanschette für eine frühzeitige Degeneration sowie Studien über die Häufigkeit des Auftretens von Defekten an der Rotatorenmanschette in der Normalbevölkerung lassen als solche keine Rückschlüsse auf strukturelle Schäden der Rotatorenmanschette im konkreten Fall zu und vermögen keinen Nachweis einer derartigen Krankheitsanlage im konkreten Fall zu erbringen.
5. Zur Beantwortung der auf der zweiten Stufe der Kausalitätsprüfung auftauchenden Frage, ob auch ein alltägliches Ereignis die in Rede stehende Schädigung herbeigeführt hätte, können auch die vom Versicherten unmittelbar vor dem Unfallereignis bewältigten körperlichen Anforderungen (hier: Bewegen schwerer Lasten, Arbeiten über Kopf) herangezogen werden.
Tenor
Auf die Berufung des Kläger wird das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 09.07.2008 und der Bescheid vom 18.09.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.01.2007 abgeändert.
Als Folgen des Arbeitsunfalls vom 24.03.2005 werden festgestellt: An der rechten Schulter Narbenbildung, Muskelminderung, mittelgradige aktive Bewegungseinschränkung, Bewegungsschmerzen und Kraftminderung.
Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Feststellung von Unfallfolgen.
Der am …1945 geborene Kläger war zuletzt als Schlosser und Kraftfahrer beschäftigt. Zu seinen Aufgaben gehörten u.a. Lagerarbeiten, wobei auch Lasten bis 30 kg anfielen sowie Überkopfarbeiten durchgeführt werden mussten. Während dieser Tätigkeit verfing sich der Kläger am 24.03.2005 gegen 8:00 Uhr in einer Seilschlaufe, stolperte, verlor das Gleichgewicht und fiel auf seine rechte Schulter, wobei er versuchte, sich mit dem rechten Arm abzufangen. Gegen 9:00 Uhr suchte er Dr. P., Chefarzt der Chirurgischen Abteilung des Krankenhauses B. auf, der eine erhebliche Einschränkung der aktiven Bewegungsfähigkeit feststellte und von einer Schulterprellung sowie einer Zerrung der Rotatorenmanschette rechts ausging. Die am 01.04.2005 angefertigte Magnetresonanztomografie (MRT) ergab degenerative Veränderungen im Acromioclavicular (AC)-Gelenk, einen Hochstand des Humeruskopfes und eine Verschmälerung des subacromialen R...