Entscheidungsstichwort (Thema)

Ausschluss einer Bewilligung von Rente wegen voller Erwerbsminderung bei lediglich qualitativen Leistungseinschränkungen des Versicherten

 

Orientierungssatz

1. Bestehen bei dem Versicherten über qualitative Einschränkungen hinaus keine Leistungseinschränkungen in zeitlicher Hinsicht, so besteht kein Anspruch auf Gewährung von Rente wegen voller Erwerbsminderung nach § 43 Abs. 2 SGB 6.

2. Bei lediglich qualitativen Einschränkungen hinsichtlich Akkord- und Nachtarbeit sowie Arbeiten unter Zeitdruck liegt weder eine spezifische Leistungsbehinderung noch eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen vor. In einem solchen Fall ist der Rentenversicherungsträger zur Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit nicht verpflichtet.

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 31.01.2018 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.

Der im Jahr 1958 geborene Kläger hat den Beruf des Gipsers erlernt und ist zum Elektroniker umgeschult worden. Als solcher war er von 2004 - 2015 selbstständig tätig und entrichtete freiwillige Beiträge zur Rentenversicherung. Sodann war er arbeitslos. Von Januar 2017 bis Januar 2018 war er auf geringfügiger Basis als Hausmeister bei der Stadtverwaltung B. L. tätig.

Am 20.10.2016 beantragte er bei der Beklagten die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Er gab an, dass ihm wegen einer Depression alles schwerfalle und er auch für leichte Tätigkeiten keine Entschlusskraft mehr aufbringen zu können.

Nachdem der behandelnde Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. S. unter dem 16.12.2016 mitgeteilt hatte, dass beim Kläger eine langandauernde depressive Anpassungsstörung bei einer schwierigen psychosozialen Konfliktkonstellation bestehe und diese zu einem Suizidversuch im Jahr 2015 geführt habe, bewilligte die Beklagte dem Kläger eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme, die dieser vom 04.04. - 09.05.2017 in der K.-Klinik, S. B., durchlief und aus der er unter der Diagnose einer mittelgradigen depressiven Episode als fähig entlassen worden ist, leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes in einem zeitlichen Umfang von sechs Stunden und mehr täglich verrichten zu können.

Gestützt auf diese Leistungseinschätzung lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers mit Bescheid vom 02.06.2017 ab.

Zur Begründung seines hiergegen am 20.06.2017 eingelegten Widerspruchs brachte der Kläger vor, die Einschätzung der Beklagten gehe an der Realität vorbei, er habe bereits Mühe, seine im Umfang von sechs Stunden wöchentlich ausgeübte geringfügige Tätigkeit absolvieren zu können. Er könne sich nicht aufraffen, Freunde zu besuchen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 03.08.2017 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Unter Berücksichtigung der medizinischen Unterlagen sei die Leistungsfähigkeit für leichte Tätigkeiten in zeitlicher Hinsicht nicht eingeschränkt.

Am 04.09.2017 hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben, mit der er sein Begehren weiterverfolgt hat. Er hat vorgebracht, ihm fehle die nötige Kraft, einer vollzeitigen Tätigkeit nachgehen zu können. Die ablehnende Entscheidung der Beklagten finde seinen Hintergrund weniger in seiner Erkrankung als in den bestehenden Sparvorgaben. Die Ursache für seine depressive Erkrankung liege nicht nur im Tod seiner Ehefrau im November 2011, sondern auch darin, dass er von seiner Krankenkasse und dem Jobcenter ungerecht behandelt worden sei, wodurch seine Psyche auch angegriffen worden sei.

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten.

Das SG hat Dr. S. als sachverständigen Zeugen schriftlich einvernommen. In seiner Stellungnahme vom 25.10.2017 hat dieser ausgeführt, die depressive Erkrankung des Klägers habe mit dem Tod der Ehegattin begonnen und sich im Jahr 2016 massiv verschlechtert. Er habe den Kläger ab dem 08.11.2016 im Wege einer ambulanten tiefenpsychologischen Psychotherapie behandelt. Der Kläger habe hierbei von einem sozialen Rückzug und fehlendem Lebensmut berichtet. Durch die Erkrankung sei zwar die seelische Belastbarkeit reduziert, die Erwerbsfähigkeit sei jedoch nicht eingeschränkt; eine regelmäßige Tätigkeit mit den damit verbundenen sozialen Interaktionen ließe vielmehr eine Besserung der depressiven Symptomatik erwarten.

Mit Gerichtsbescheid vom 31.01.2018 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung seiner Entscheidung hat es gestützt auf die Einschätzung von Dr. S. und den Rehabilitationsentlassungsbericht ausgeführt, der Kläger sei weder erwerbsgemindert noch berufsunfähig. Die bestehende psychische Erkrankung führe nicht zu einer Reduzierung des Leistungsvermögens in zeitlicher Hinsicht.

Gegen den ihm am 07.02.2018 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 02.03.2018 Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegt. Zu deren Begründung bringt er vor, bei ihm bestehe ...

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