Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Unfallversicherung. Arbeitsunfall. sachlicher Zusammenhang. Handlungstendenz. eigenwirtschaftliche Tätigkeit. beendete Probearbeit. keine vertragliche Pflichterfüllung. Unfallversicherungsschutz. arbeitnehmerähnliche Tätigkeit. Arbeitsleistung im Interesse des Arbeitgebers. verrichtete Arbeitsleistung von wirtschaftlichem Wert. beabsichtigte Aufnahme einer Tätigkeit als Chefsekretärin in einem Architektenbüro. Sturz auf der Außentreppe des Gebäudes auf dem Weg zum PKW auf dem Betriebsgelände
Leitsatz (amtlich)
1. Ein Unfall, den eine Person nach Beendigung der Probearbeit auf dem Weg zu ihrem auf dem Betriebsgelände abgestellten Fahrzeug erleidet, ist unversichert, wenn dieser weder in Erfüllung einer Pflicht aus einem Beschäftigungsverhältnis stand noch eine dem Unternehmen zu dienen bestimmte Handlungstendenz bestand.
2. Ein Versicherungsschutz während der Probearbeit als Wie-Beschäftigter scheidet aus, wenn keine Arbeiten verrichtet bzw Leistungen bewirkt werden, die der potentielle Arbeitgeber seinen Kunden schuldet.
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 22. Oktober 2021 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten der Klägerin sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Anerkennung eines Treppensturzes als Arbeitsunfall.
Die 1960 geborene Klägerin ist nach einer Tätigkeit als Prokuristin und Chefsekretärin in einem Casinobetrieb arbeitslos geworden. Auf Vermittlung und Veranlassung der Agentur für Arbeit arbeitete sie zunächst von Montag, 11.03.2019 bis Mittwoch, 13.03.2019 in einem Architekturbüro, dem Bauatelier W1 in R1, zur Probe. Die Probearbeit ist nach den Angaben der Klägerin im Wesentlichen auf ihre Veranlassung hin um zwei Tage, den Donnerstag und Freitag derselben Woche, verlängert worden. Der Inhaber des Architekturbüros W1 und die Klägerin waren übereingekommen, sich nach Beendigung der Probearbeit am Freitag (15.03.2019) um 17 Uhr zur Klärung von Details und zur Unterzeichnung des Arbeitsvertrages zu treffen. Weil sich der Inhaber verspätete, wollte die Klägerin die Zeit nutzen und ihren Einkaufskorb in ihren PKW verbringen. Sie stürzte auf dem Weg zum Parkplatz auf der Außentreppe des Gebäudes, die genutzt werden muss, um die Büroräume zu erreichen.
Nach dem Durchgangsarztbericht von K1 vom 15.03.2019 zog sich die Klägerin hierbei eine distale Radiusfraktur rechts, eine distale Ulnafraktur rechts, eine offene Nasenbeinfraktur und einen großen Hautdefekt an der oberen Lippe zu. Die Brüche wurden im Rahmen eines kurzen stationären Aufenthaltes im O1 operativ versorgt. Arbeitsunfähigkeit bestand nach Aktenlage vom 15.03.2019 bis 01.05.2019.
Die Agentur für Arbeit F1 teilte auf Anfrage mit, es habe sich um eine genehmigte Probearbeit bis einschließlich 13.03.2019 gehandelt. Der Unfall habe sich daher nicht innerhalb der von der Agentur für Arbeit genehmigten Maßnahme ereignet.
Die einleitend bearbeitende Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft gab den Vorgang an die Verwaltungsberufsgenossenschaft (im Folgenden: die Beklagte) zuständigkeitshalber ab.
Mit Bescheid vom 03.07.2019 lehnte die Beklagte die Anerkennung des Ereignisses vom 15.03.2019 als Arbeitsunfall ab, weil die Klägerin zum Unfallzeitpunkt nicht zum Kreis der versicherten Personen gehört habe. Die Klägerin habe in keinem Arbeitsverhältnis gestanden, da sie lediglich eine Probearbeit verrichtet habe. Erfolge eine Probearbeit als Teil einer Bewerbung im Rahmen der Arbeitsplatzsuche zur Feststellung der persönlichen und fachlichen Eignung, bestehe kein Versicherungsschutz nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII). Die Arbeitsplatzsuche begründe keinen Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung, sondern stelle eine private, eigenwirtschaftliche Tätigkeit dar. Eine von der Agentur für Arbeit genehmigte Probearbeit habe nur bis einschließlich 13.09.2019 vorgelegen. Zum Zeitpunkt des Unfalles habe die Klägerin nicht mehr mit Genehmigung der Agentur für Arbeit eine Probearbeit ausgeübt. Private Interessen im Rahmen der Bewerbung hätten im Vordergrund gestanden. Auch die Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 SGB VII lägen nicht vor, weil die Handlungstendenz des „Probearbeiters“ im Wesentlichen allein darauf gerichtet sei, die eigene persönliche und fachliche Eignung unter Beweis zu stellen, um einen Arbeitsvertrag zu erhalten.
Unter dem 17.09.2019 wandte sich die Klägerin an die Beklagte und nahm auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 20.08.2019 (B 2 U 1/18 R) Bezug und beantragte die „Übernahme“. Mit Schreiben vom 07.10.2019 wies die Beklagte auf den Ablauf der Widerspruchsfrist, die Möglichkeit eines Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sowie auf einen Antrag auf Überprüfung des bisherigen Bescheides nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) hin. Den unter Geltendmachung von Wiedereinsetzungsgründen zunächst erhobenen Widerspruch nahm der Bevoll...