Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. Eingliederungsleistung. Eingliederungsverwaltungsakt. Geltungsdauer. "bis auf Weiteres". Rechtswidrigkeit. Höchstfrist von 6 Monaten

 

Orientierungssatz

1. Der Erlass eines Eingliederungsverwaltungsakts ohne zeitliche Begrenzung der Geltungsdauer ist nicht von der gesetzlichen Ermächtigung gedeckt. Eine solche zeitliche Begrenzung ist auch nicht bei einer Geltung "bis auf Weiteres" gegeben.

2. Auch nach der Neufassung des § 15 SGB 2 ist ein Eingliederungsverwaltungsakt weiterhin grundsätzlich auf sechs Monate zu befristen.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 21.03.2019; Aktenzeichen B 14 AS 28/18 R)

 

Tenor

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 12. Oktober 2017 wird zurückgewiesen.

Der Bescheid des Beklagten vom 11. Januar 2018 wird aufgehoben.

Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin in beiden Rechtszügen.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist die Rechtmäßigkeit zweier Eingliederungsverwaltungsakte (EGVA) vom 03.04.2017 und 11.01.2018.

Die 1965 geborene Klägerin ist Diplomchemikerin und arbeitete nach Abschluss des Studiums (1994) von 1997 bis 2001 in diesem Beruf. Anschließend war sie arbeitslos, unterbrochen durch kurzzeitige, fachfremde Tätigkeiten (u.a. Erntehelfer, Reinigungskraft, Hilfsarbeiter, Versandmitarbeiter) bei verschiedenen Arbeitgebern. Sie befindet sich seit Jahren im laufenden Leistungsbezug des Beklagten nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Mit Bescheid vom 04.01.2017 wurde ihr Arbeitslosengeld II (Alg II) in Höhe von monatlich 586,00 € ab 01.01.2017 bis 31.12.2017 bewilligt.

Nachdem sich die Klägerin wiederholt geweigert hatte, Eingliederungsvereinbarungen (EGV) zu unterschreiben, erließ der Beklagte am 14.01.2016 und 14.07.2016 jeweils EGVAe. Gemäß dem EGVA vom 14.01.2016 wurde die Klägerin verpflichtet, ab Februar 2016 kalendermonatlich fünf zielgerichtete Eigenbemühungen um ein Beschäftigungsverhältnis zu tätigen und hierzu jeweils bis zum 10. des Folgemonats Nachweise vorzulegen. Als die Klägerin diesen Anforderungen nicht nachkam, erließ der Beklagte am 02.06.2016 einen Sanktionsbescheid, wonach für die Zeit vom 01.07. bis 30.09.2016 das Alg II in Höhe von 121,20 € monatlich (30 % des maßgebenden Regelbedarfs) gemindert wurde und der vorangegangene Bewilligungsbescheid insoweit aufgehoben wurde. Am 02.08.2016 erging ein weiterer Sanktionsbescheid für die Zeit vom 01.09.2016 bis 30.11.2016 mit dem Inhalt einer monatlichen Minderung des Alg II in Höhe von 242,46 € und damit 60 % des maßgebenden Regelbedarfs.

Da im Rahmen eines persönlichen Gesprächs am 16.01.2017 der Abschluss einer EGV nicht zu erreichen war, erließ der Beklagte zunächst am 30.01.2017 einen weiteren EGVA, den er jedoch mit Bescheid vom 15.03.2017 im Hinblick auf eine fehlerhafte Rechtsfolgenbelehrung und weitere Mängel wieder aufhob. Am 20.03.2017 fand eine erneute persönliche Vorsprache der Klägerin beim Beklagten statt, im Rahmen derer eine EGV vorgelegt und deren Inhalt besprochen wurde. Diese EGV wurde der Klägerin zur Durchsicht überlassen mit der Bitte um Rückgabe mit Unterschrift bis zum 31.03.2017. Hierzu kam es in der Folgezeit nicht. Am 03.04.2017 erging der im vorliegenden Klage- und Berufungsverfahren streitgegenständliche EGVA, gültig vom 03.04.2017 “bis auf weiteres„. Ziel sei die Integration in den ersten Arbeitsmarkt mit Unterstützung des Projekts “Netzwerkreaktivierung, Beratung und Chancen„ (ABC) während des Gültigkeitszeitraumes der EGV. Die Klägerin nehme ab dem 03.04.2017 an diesem Projekt ABC des Jobcenters teil und werde hierbei durch individuelle Betreuung und Begleitung der Arbeitssuche, kundenbezogene Akquise von Stellen durch den Vermittler und Nachbetreuung auch nach Abschluss des Arbeitsvertrages unterstützt. Die Bewerbungsaktivitäten würden durch die Übernahme von angemessenen nachgewiesenen Kosten für notwendige schriftliche Bewerbungen nach Maßgabe des § 16 Abs. 1 SGB II i.V.m. § 45 SGB III unterstützt, sofern die Klägerin diese zuvor beantragt habe. Bewerbungskosten könnten bis zu einem Betrag von 260,00 € jährlich übernommen werden. Während der Gültigkeitsdauer unternehme die Klägerin kalendermonatlich mindestens fünf Bewerbungsbemühungen um sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse. Als Nachweis sei eine Liste über Bewerbungen zu führen und jede Bewerbung durch ein entsprechendes Schriftstück nachzuweisen. Diese Bewerbungsnachweise seien monatlich unaufgefordert zum 10. des Folgemonats, erstmals zum 10.06.2017 beim Jobcenter vorzulegen. Auf Vermittlungsvorschläge bewerbe sich die Klägerin zeitnah, d.h. spätestens am dritten Tag nach Erhalt. Die Inhalte des Bescheides würden regelmäßig überprüft und gegebenenfalls mit einem neuen ersetzenden Verwaltungsakt fortgeschrieben. Dies erfolge insbesondere, wenn eine wesentliche Änderung in den persönlichen Verhältnissen eine Anpassung der vereinbarten Maßnahmen, Leistungen oder Pflichten erforderl...

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