Entscheidungsstichwort (Thema)
Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung bei einem Syndikusrechtsanwalt. negative Zulassungsentscheidung der Rechtsanwaltskammer aufgrund einer nicht mehr ausgeübten Tätigkeit als Syndikusrechtsanwalt. bindende Wirkung einer Zulassung für die Rentenversicherungsträger und die Sozialgerichte ausschließlich durch Entscheidung der Rechtsanwaltskammer. uneingeschränkte Tatbestandswirkung. keine Differenzierung nach den Gründen der Zulassungsentscheidung. Verfassungsmäßigkeit
Leitsatz (amtlich)
1. Die Ablehnung der Zulassung als Syndikusrechtsanwalt, weil diese Tätigkeit zum Zeitpunkt der Entscheidung der Rechtsanwaltskammer nicht mehr ausgeübt wurde, hat für den Rentenversicherungsträger und die Sozialgerichte bindende Tatbestandswirkung.
2. Die Entscheidung des Anwaltsgerichtshofes, wonach die streitige Tätigkeit den gesetzlichen Anforderungen an eine Zulassung als Syndikusrechtsanwalt grundsätzlich erfüllte, stellt keine den Rentenversicherungsträger oder die Sozialgerichte bindende Zulassungsentscheidung dar. Die Tatbestandswirkung der - hier negativen - Zulassungsentscheidung der Rechtsanwaltskammer entfällt nicht, nur weil die Zulassung aus anderen Gründen als dem Inhalt der Tätigkeit abgelehnt wurde.
Orientierungssatz
1. Es bestehen grundsätzlich keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Ablehnung der Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung bei nicht erteilter Zulassung als Syndikusrechtsanwalt.
2. Darüber hinaus bestehen auch dann keine verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn die Zulassung an einer langen Bearbeitungsdauer durch die zuständige Rechtsanwaltskammer scheitert.
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 11. August 2020 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) für seine Tätigkeit bei der C1 AG (C AG) als Syndikusrechtsanwalt ab dem 1. Januar 2015 bis zum 31. Dezember 2016.
Der 1973 geborene Kläger ist seit dem 5. September 2006 als zugelassener Rechtsanwalt Pflichtmitglied in der Rechtsanwaltskammer S1 und dem folgend Pflichtmitglied im Versorgungswerk der Rechtsanwälte in Baden-Württemberg, dem Beigeladenen zu 1.
Aufgrund des Anstellungsvertrages vom 18. September 2014 war der Kläger ab dem 1. Januar 2015 bei der C AG, deren Rechtsnachfolgerin die Beigeladene zu 2 ist, als „International Category Manager“ im Bereich „P1“ tätig. Inhalt der Tätigkeit war die Durchführung und Unterstützung des Beschaffungswesens für die „category IT, Communication & Services“ auf internationaler Ebene und die Konzeption der Beschaffungsstrategie unter Berücksichtigung neuer Technologien und Markttrends. Zu den Hauptaufgaben gehörten die gruppenweite Planung, Führung und Durchführung internationaler Beschaffungsprojekte in Absprache mit der C IT-Abteilungsorganisation von zentralen und lokalen Abteilungen/Geschäftsbereichen, die kontinuierliche Analyse aller relevanten Beschaffungsmärkte, Ausarbeitung und Aushandlung von Handelsverträgen mit Lieferanten (z.B. Rahmenverträge, Werk- und Dienstleistungsverträge, Outsourcing-Verträge, Lizenzverträge und Software-Entwicklungsverträge), die Ermittlung gruppenweiter Kostensenkungs- und Optimierungspotenziale, die Festlegung strategischer Kosteneinsparungsmechanismen und Durchführungsregelungen, die Ausführung interner und externer Benchmarks innerhalb der zugewiesenen Themen und die Bewertung der Lieferantenleistungen (vorgelegtes job profile März 2014).
Den am 23. Januar 2015 gestellten Antrag des Klägers auf Befreiung von der Versicherungspflicht nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI für diese Beschäftigung ab dem 1. Januar 2015 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 4. Februar 2015 ab, da der Kläger nicht als Rechtsanwalt für seine Arbeitgeberin tätig werde. Personen, die - wie der Kläger - als ständige Rechtsberater in einem Anstellungsverhältnis zu einem bestimmten Arbeitgeber stünden (Syndikusanwälte), seien in dieser Eigenschaft nicht als Rechtsanwälte tätig und könnten nicht von der Versicherungspflicht befreit werden.
Zur Begründung des dagegen eingelegten Widerspruches führte der Kläger aus, die beratende Tätigkeit als Syndikus, die Teil seiner Tätigkeit für die C AG sei, sei Anwaltstätigkeit und erfülle damit die Voraussetzungen des gesetzlichen Befreiungstatbestandes. Die Ausarbeitung und Aushandlung von Handelsverträgen mit Lieferanten, die Teil seiner Tätigkeit als International Category Manager sei, stelle eine typische rechtsanwaltliche Tätigkeit dar. Die Frage, für wen die rechtsberatende Tätigkeit ausgeübt werde, betreffe Modalitäten, die mit dem Inhalt der Tätigkeit nichts zu tun hätten. Vielmehr fielen diese Modalitäten unter die Berufsausübungsfreiheit des Art. ...