Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Satzung. Genehmigung. Aufsichtsanordung. Wahltarif. Prämie. Wettbewerb. Transparenz. Alles-oder- Nichts-Prinzip. Prämienzahlung bei Nichtinanspruchnahme von Leistungen
Leitsatz (amtlich)
In der Beitragssatzung einer gesetzlichen Krankenkasse kann nach § 53 Abs. 2 SGB V die Gewährung einer Prämienzahlung (“Gesundheitsbonus„) wegen der Nichtinanspruchnahme von Leistungen nur dann erfolgen, wenn mit Ausnahme der in der Vorschrift genannten prämienunschädlichen Leistungen keinerlei Leistungen zu Lasten der Krankenkasse in Anspruch genommen werden (Prinzip des “Alles oder Nichts„).
Normenkette
GG Art. 20 Abs. 3; SGB V § 53 Abs. 1-3, 9, § 195 Abs. 1; SGG § 54 Abs. 3, § 78 Abs. 1 Nr. 2
Nachgehend
Tenor
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 06.08.2008 geändert und die Klage abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Genehmigung einer Satzungsänderung der Klägerin über die Ausgestaltung von Wahltarifen nach § 53 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) im Streit. Konkret geht es um die Frage, ob die Beitragserstattung (“Prämie„) an Versicherte bei der Nichtinanspruchnahme von Leistungen bzw. nur geringfügiger Inanspruchnahme von Leistungen um pauschale Beträge statt um die tatsächlich angefallenen Kosten gemindert werden kann.
Die Klägerin ist eine bundesweit tätige geschlossene Betriebskrankenkasse und unterliegt als rechtsfähige Körperschaft des öffentlichen Rechts der Rechtsaufsicht durch die Beklagte nach den §§ 187 ff. Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV). Der Sitz der Klägerin ist in Stuttgart.
Mit Schreiben vom 09.05.2007 fragte die Klägerin bei der Beklagten an, ob der beabsichtigte 24. Nachtrag zu ihrer Satzung als genehmigungsfähig angesehen werde. In § 8c der Satzung der Klägerin werden die grundsätzlichen Voraussetzungen für die Anwendbarkeit des Wahltarifs und die Möglichkeit einer Prämienzahlung geregelt. In Absatz 2 sollte durch die Änderung geregelt werden, dass bestimmte Leistungen (insbesondere Leistungen der Prävention, Selbsthilfe und Vorsorgeleistungen sowie die Behandlung von Kindern) unschädlich für die Leistung einer Prämie sein sollten. In dem beabsichtigten neuen Abs. 2 Satz 3 sollte vorgesehen werden, dass eine ärztliche oder zahnärztliche Behandlung mit der Verordnung von Arznei-, Heil- oder Hilfsmitteln im Kalenderjahr die Prämienzahlung nach Abs. 3 der Vorschriften um 40 € bzw. zwei Verordnungen im Kalenderjahr die Prämie entsprechend um 80 € minderten; jede weitere Verordnung solle eine Prämienzahlung ausschließen. Die pauschale Kürzung der Prämie gelte bereits nach der Satzung der AOK Baden-Württemberg (unter Hinweis auf § 17 k Abs. 3 dieser Satzung). Man befinde sich mit der AOK Baden-Württemberg in unmittelbarem Wettbewerb, so dass auf eine Gleichbehandlung hinsichtlich der Genehmigungspraxis großer Wert gelegt werde.
Mit Schreiben vom 21.05.2007 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass sie großes Verständnis dafür habe, dass diese aufgrund des Wettbewerbs den Versicherten dieselbe Satzungsregelung anbieten wolle wie einzelne landesunmittelbare (der Landesaufsicht unterliegende) Kassen. Die vorgelegte Regelung sei jedoch nicht genehmigungsfähig. Statt einer pauschalierten Prämienminderung habe die Kasse die konkreten Kosten zu berücksichtigen, welche das Mitglied verursacht habe; anderenfalls wäre die Voraussetzung in § 53 Abs. 2 Satz 1 SGB V, dass das Mitglied Leistungen zu Lasten der Kasse nicht in Anspruch genommen habe, nicht erfüllt.
Mit der Satzungsänderung vom 31.05.2007 nahm die Klägerin die von der Beklagten zu anderen Änderungswünschen geäußerte Kritik der Beklagten auf und setzte diese um; allerdings beschloss sie entgegen den Ausführungen der Beklagten mit einem 24. Nachtrag zu ihrer Satzung einen neuen § 8a Abs. 3, der folgenden Wortlaut hat:
“Die Inanspruchnahme folgender Leistungen wird wie folgt auf die Prämienzahlung angerechnet:
Ärztliche oder zahnärztliche Behandlung mit einer Verordnung von Arznei-, Heil- oder Hilfsmitteln im Kalenderjahr mindert die Prämienzahlung nach Abs. IV um 40 €, zwei entsprechende Verordnungen im Kalenderjahr mindern die Prämie um 80 €. Jede weitere Verordnung schließt eine Prämienzahlung aus.„
Mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 25.09.2007 lehnte die Beklagte unter anderem die Genehmigung des neuen Abs. 3 des § 8a der Satzung in der Fassung des 24. Nachtrages ab. Eine Krankenkasse könne nach § 53 Abs. 2 SGB V in ihrer Satzung eine Prämienzahlung vorsehen, wenn Versicherte und ihre nach § 10 mit versicherten Angehörigen in diesem Kalenderjahr Leistungen zu Lasten der Krankenkasse nicht in Anspruch genommen hätten. Die nicht zu berücksichtigenden Leistungen seien im Gesetz abschließend genannt. Darüber hinaus seien die Leistungen vollständig zu erfassen. Auch mit Blick auf da...