Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeld. Bemessungsentgelt. Leistungsentgelt. gewöhnlich anfallende gesetzliche Entgeltabzüge. Kirchensteuer-Hebesatz. konfessionsloser Arbeitnehmer. Verfassungsmäßigkeit
Orientierungssatz
§ 136 Abs 2 S 2 Nr 2 SGB 3 verletzt auch in den Jahren 2001 bis 2003 nicht Verfassungsrecht. Die dem Gesetzgeber vom BVerfG auferlegte Handlungspflicht wird erst ausgelöst, wenn der Gesetzgeber auf Grund vorliegender statistischer Erkenntnisse davon ausgehen muss, dass nicht mehr eine deutliche Mehrheit von Arbeitnehmern einer zu Erhebung von Kirchensteuer ermächtigten Kirche angehört. Der Senat ist nicht mit der erforderlichen an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit davon überzeugt, dass schon vor Auswertung der noch nicht vorliegenden Zahlen der Lohn- und Einkommenstatistik 2001 bis 2003 die maßgebliche Grenze von 55 vH unterschritten wird.
Nachgehend
Tatbestand
Der Rechtsstreit betrifft höheres Arbeitslosengeld (Alg); der Kläger macht geltend, das Alg sei vom 1. Oktober 2001 bis 29. August 2002 und von 7. September 2002 bis 16. Januar 2003 ohne Berücksichtigung des Kirchensteuerhebesatzes als gewöhnlich anfallendem Abzug zu gewähren.
Der ... 1955 geborene und keiner Kirche angehörende Kläger ging vom 4. Februar 1985 bis 31. August 2001 einer Beschäftigung als Lektor bei der J T V GmbH & Co nach. Das Arbeitsverhältnis endete durch Kündigung des Arbeitgebers vom 22. Februar 2001 mit Ablauf des 31. August 2001; die Kündigungsfrist betrug sechs Monate zum Monatsende. Der Kläger erhielt eine Abfindung von 60.000 DM. Er meldete sich am 1. Oktober 2001 beim Arbeitsamt Freiburg (ArbA) arbeitslos und beantragte Alg. Nach der Arbeitsbescheinigung vom 11. Oktober 2001 hatte er in den letzten 52 Wochen vor Eintritt der Arbeitslosigkeit ein Bruttoarbeitsentgelt von 109.425,17 DM bei einer Arbeitszeit von 37 Stunden pro Woche erhalten. Er legte dem ArbA die Lohnsteuerkarte 2001 vor, in der Steuerklasse I, ohne Kindermerkmal und ohne Kirchsteuerabzug eingetragen war. Die B Ersatzkasse teilte dem ArbA mit Schreiben vom 19. November 2001 mit, dass der Kläger von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung befreit sei; damit bestehe auch in der sozialen Pflegeversicherung keine Versicherungspflicht. Das ArbA bewilligte durch Bescheid vom 6. Dezember 2001 Alg ab 1. Oktober 2001 in Höhe von 561,40 DM wöchentlich (Bemessungsentgelt 1790.- DM, Entgeltersatzquote 60 v.H., Leistungsgruppe A) für 540 Tage.
Am 11. Dezember 2001 erhob der Kläger Widerspruch. Zur Begründung führte er aus, er sei seit 25 Jahren konfessionslos und nicht damit einverstanden, dass vom Bemessungsentgelt Kirchensteuer abgezogen werde. Mit Bescheid vom 7. Januar 2002 wurde die Leistung an die SGB III-Leistungsentgeltverordnung 2002 angepasst und nun in Höhe von 287,07 € gezahlt. Mit Änderungsbescheid vom 30. Januar 2002 wurde Alg rückwirkend ab 1. Oktober 2001 nach einem Bemessungsentgelt von nun 2000.- DM in Höhe von 608,44 DM bewilligt. Schließlich wies das ArbA den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 30. Januar 2002 als unbegründet zurück.
Am 28. Februar 2002 hat der Kläger durch seinen Bevollmächtigten beim Sozialgericht (SG) Freiburg Klage erhoben.
Während des Klageverfahrens war er vom 31. Mai bis 1. Juli 2002, vom 19. Juli bis 6. September 2002, vom 16. September bis 18. Oktober 2002, vom 6. November bis 15. November 2002 und vom 22. November bis 29. November 2002 unter Vorlage ärztlicher Bescheinigungen arbeitsunfähig krank geschrieben. Wegen der Arbeitsunfähigkeit vom 19. Juli bis 6. September 2002 hat die Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 8. Oktober 2002 zur beabsichtigten Aufhebung und Rückforderung des vom 30. August bis 6. September 2002 bezogenen Alg in Höhe von 358,10 € angehört. Am 18. Oktober 2002 hat sich der Kläger gegen die beabsichtigte Entscheidung gewandt. Mit bestandskräftig gewordenem Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 19. Dezember 2002 hat das ArbA die Bewilligung von Alg nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) für die Zeit vom 30. August bis 6. September 2002 aufgehoben und die Erstattung von Alg in Höhe von 358,10 € gefordert, weil der Anspruch nach Ablauf von sechs Wochen Leistungsfortzahlung gem. § 126 Abs. 1 S. 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) entfallen sei. Das Alg ist bis 16. Januar 2003 gezahlt und für die Zeit danach bestandskräftig aufgehoben worden.
Zur Begründung der Klage hat der Kläger im Wesentlichen vortragen lassen: Die Berücksichtigung der Kirchensteuer als gewöhnlich anfallender Abzug verletze die Grundrechte, insbesondere liege ein Verstoß gegen Art. 4 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) vor. Bei der Bestimmung der Leistungssätze für das Alg dürfe der Kirchensteuerhebesatz als gesetzlicher Abzug nur solange angesetzt werden, als die überwiegende Mehrheit der Arbeitnehmer kirchensteuerpflichtig sei. Die vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) dem Gesetzgeber aufge...